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Ludwig Hevesi (1843-1910): Ludwig Speidel, Schriftsteller

weglasse.‘ Und auch größere Pläne rumorten in ihm. Ein regelrechtes Jambendrama »Hasdrubal« wurde kühn angegangen, aber noch in den ersten Stadien verbrannt. Ein erzählendes Gedicht in Hexametern: »Die Hochzeit im Freien« (München, September 1852) gedieh bis zum zweiten Gesang. Noch ist das blaue Heftchen erhalten, mit 633 Versen in tadelloser Reinschrift. Kein Wunder, daß sich in Wien eine zähe Sage erhielt von einem Bändchen Lyrik, das Sp. einst veröffentlicht, dann aber reuevoll zurückgekauft und vernichtet hätte. Das ist nicht wahr. Er verzichtete auf diese Art des Dichtens, ganz im Sinne eines späteren köstlichen Feuilletons: »Das Glück, kein Dichter zu sein« (2. April 1899), worin es unumwunden heißt: »Wie beneidenswert ist dagegen der Aufrichtige, der kein Dichter sein will, aus dem einfachen Grunde, weil er keiner ist!« Daß Sp. ein Dichter war, wird kein Kenner seiner Prosa leugnen, die gar oft im feinsten Schmelz der Poesie schimmert.

So war seine Jugend rastlose Arbeit. Die Geisteswelt strömte machtvoll in ihn hinein. Er war ein Gefäß von unbegrenzter Fassungskraft. Literatur, Geschichte, Philosophie aller Zeiten. Die Philosophen studierte er sämtlich durch; man merkt es, wenn er später so anlaßweise ganz vergessene Schriften irgendeines Hegelschülers (Rosenkranz fällt mir ein) anzuziehen weiß. Noch sehr spät rächt er einmal Hegel an Schopenhauer, dessen »Dickschädel« er schildert, wegen des zu unglimpflichen Porträts, das dieser einst von jenem entworfen. Und im reifen Mannesalter noch erwähnt er, daß er mit seinem Freunde Bernhard Scholz in ungezählten Sitzungen den ganzen Spinoza übersetzt hat, aber ohne ein Wort niederzuschreiben. Das Schreiben als solches scheint ihm von jeher zuwider gewesen zu sein. Und das Briefschreiben schon gar. Förmlich hochdramatisch können sich da die Situationen zuspitzen. Hätte es für Briefschulden einen Schuldturm gegeben, Sp. wäre nicht viel auf freiem Fuß gewesen. In einem ganz dringenden Falle gibt ihm Wilhelm drei Wochen Zeit zur Antwort; erfolgt keine, so werde er ihm nie wieder schreiben. Selbst seine treue Gönnerin Frau v. Kaulbach in München schreibt ihm, schon nach Wien: »Lieber Ludwig! Wenn ich auch im voraus weiß, daß von einer Antwort oder irgendeinem Lebenszeichen keine Rede sein wird usw. Könnte ich Ihnen doch endlich recht ins Herz reden, wie ich es früher getan…« Wilhelm klage, er habe schon seit Jahr und Tag keine Nachricht, die Eltern desgleichen u. s. f. Innere Mächte mußten ihn schon ganz unwiderstehlich drängen, wenn er zur Feder griff. Und das kam vor. Im Nachlaß befindet sich sogar ein »Tag- und Nacht-Buch« (1849–50), worin er sich lakonisch Luft machte. Und auch die Liebe löste seine Stummheit. Ich denke da an ein allerprivatestes Heftchen, worin ganz einfache und über die Maßen liebe Dinge stehen, bei deren Niederschrift gewiß an keinen Leser und noch weniger an einen Setzer gedacht wurde.

Später hatte er wenig Verkehr mit seiner Familie. Nach Ulm ist er zwar wiederholt gekommen; nachweislich 1872 und 1877. Dieses zweite Mal schreibt er seiner Frau recht scherzhaft: »Meine Ulmer Bibliothek habe ich tüchtig geplündert und bringe – gottlob! wirst Du sagen – einen ganzen Pack Bücher mit.« Er hatte deren wahrlich schon genug. So lange er ledig war, standen sie in hohen Stößen durch die ganze Wohnung am Boden

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Ludwig Hevesi (1843-1910): Ludwig Speidel, Schriftsteller. Reimer, Berlin 1908, Seite 196. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ludwig_Speidel,_Schriftsteller.pdf/4&oldid=- (Version vom 1.8.2018)