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Indem man nun das Ätherbild erkenntnistheoretisch ausbaute, geriet man unversehens in eine dualistische Auffassung von Äther und Materie. Man faßte den Äther als etwas von der Materie getrennt Existierendes auf und sah sich so vor die Frage gestellt, ob der Äther sich mit der Materie bewege oder ob er ruhe. Man erkannte bald, daß die Hypothese des ruhenden Äthers die einfachere sei und Lorentz machte sie zur Grundlage seiner älteren Elektronentheorie. In dieser Theorie tritt der Äther als eine Quasimaterie auf. So muß der Äther in ein dynamisches System mit einbezogen werden, um die Gültigkeit des dritten Newtonschen Axioms aufrecht zu erhalten. An und für sich übt eine sich gleichförmig bewegende Ladung A auf eine ruhende B eine andere Kraft aus, als B auf A. Die große innere Unwahrscheinlichkeit dieser Annahme bereitete der älteren Theorie Schwierigkeiten; noch mehr der innere Widerspruch, der darin besteht, daß durch den Äther, trotzdem er ein unendlich ausgedehntes homogenes Medium darstellt, ein Bezugssystem festgelegt werden soll.

Am verhängnisvollsten war aber der experimentelle Nachweis, daß entgegen der Forderung der Theorie die optischen Erscheinungen keinen Einfluß der jährlichen Bewegung der Erde durch den Äther erkennen lassen. Wenn nun auch vereinzelt diese Theorie mathematisch weiter bearbeitet wurde, so stand doch bei den Physikern unumstößlich fest, daß nur auf dem Prinzip der Relativität der Bewegungen weiter gebaut werden konnte. Es mußte die Forderung gestellt werden, daß bei der gleichförmigen Bewegung zweier Körper A und B relativ zueinander ihre Wechselwirkung davon unabhängig sein sollte, ob A oder B ruhend bzw. als bewegt angenommen wird.

Den Weg zu einer solchen Theorie bahnte Lorentz im Jahre 1904. Er zeigte, daß durch eine geeignete Transformation der Zeit und der Koordinaten in den Maxwellschen Gleichungen der Einfluß gleichförmiger Bewegung auf die Optik des bewegten Systems verschwindet und daß alle bis dahin bekannten Beobachtungen mit den ferneren Konsequenzen dieser neuen Theorie übereinstimmen. Charakteristisch für diese Theorie ist die Deformation, welche die Körper durch ihre Bewegung erleiden. Alle Dimensionen, die in die Bewegungsrichtung fallen, werden im Verhältnis √(1-β²) verkürzt, wo β das Verhältnis der Körpergeschwindigkeit zur Lichtgeschwindigkeit bedeutet. Von Einstein wurde dann gezeigt, daß man zu genau denselben experimentellen Konsequenzen gelangt, wenn man die von Lorentz eingeführte Ortszeit schlechthin als Zeit definiert und gleichzeitig die Raumkoordinaten in den Maxwellscher Gleichungen so transformiert, daß sie mit dieser Zeitdefinition im Einklang sind. Die Einsteinsche Fassung läßt nun das Relativitätsprinzip klar hervortreten. Während bei der Lorentzschen Fassung noch die Deformation und die Bewegungsenergie eindeutig lokalisiert sind, wird die Lokalisierung bei Einstein relativ. Von Einstein und Planck wurde auf bedeutsame Folgerungen, die aus dem Relativitätsprinzip fließen, hingewiesen. Ich erinnere daran, daß die Bewegungsgleichungen nach einfachen Umformungen die klassische Form der Lagrangeschen Gleichungen annehmen; daß man, vom Prinzip der kleinsten Wirkung ausgehend, zu wichtigen Aufschlüssen über die Entropie und die Temperatur bewegter Körper gelangt. Höchst bemerkenswert ist auch die Erweiterung des Begriffs der mechanischen Masse, welche, von Geschwindigkeit und Energieinhalt abhängig, auch relativen Charakter besitzt, und zwar wird das Gesetz von der Konstanz der Massen nunmehr mit dem Gesetz der Erhaltung der Energie logisch verknüpft. Das Gesetz der Erhaltung des Schwerpunkts wird erweitert, indem es auch auf strahlende Systeme ausgedehnt wird. Denn eine elektromagnetische Strahlung ist mit einer Massenausstrahlung verbunden. Daß diese Theorie auch für die Astronomie von grundlegender Bedeutung sein wird, und durch eine Erweiterung der Newtonschen Gesetze eine besondere Übereinstimmung mit den astronomischen Beobachtungen herbeizuführen bestimmt ist, mag auch erwähnt werden.

Eine eigentümliche Umgestaltung erfährt der Begriff des Äthers. Denn wenn eine rein translatorische Bewegung eines Systems die sich auf ihm abspielenden Erscheinungen nicht beeinflußt, so müssen dem Äther, als dem Vermittler dieser Vorgänge, Eigenschaften zugeschrieben werden, die mit dem bisherigen Ätherbilde unverträglich sind. Die bisherige dualistische Auffassung von Äther und Materie muß einer monistischen weichen.

So zeigt sich das Relativitätsprinzip als ein weitreichendes, als ein überraschend vereinheitlichendes Prinzip.

Dieses Prinzip forderte gebieterisch eine direkte experimentelle Prüfung. — Es war von vornherein klar, daß nur solche Erscheinungen zum Beweise der Gültigkeit der im Wettstreit stehenden Theorien herangezogen werden konnten, bei denen Körper sich mit großer Geschwindigkeit bewegen. Hierzu boten sich Messungen an Becquerelstrahlen dar und Herr W. Kaufmann unterzog sich der schwierigen Aufgabe, dahinzielende Versuche anzustellen. Die Methode Kaufmanns ist allen bekannt, ebenfalls die Tatsache, daß Kaufmann mit Bestimmtheit den Schluß gezogen hat,