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Radspeichen. Und es war ein so greller Kontrast zwischen der reichen Pracht der Blumen und Bänder und dem kläglichen Gefährte, daß die Ohnmacht der Liebe, die da versuchen wollte, über den Jammer dieses Bildes hinwegzutäuschen, einem das Herz zerriß.


Przemysl, den 21. Dezember 1914,
     am 44. Tag der 2. Belagerung.

Die Festung trifft Weihnachtsvorbereitungen. Jede Kompagnie, jedes Spital, jede Offiziersmesse schickt ein paar Mann in die Wälder am Fortgürtel hinaus, an deren Abholzung noch zum Teil gearbeitet wird, um Weihnachtsbäume.

In den wenigen Geschäften, die vom Vorjahre her noch einen kleinen Vorrat an Christbaumbehängen, Kerzen und Kerzenhaltern haben, herrscht reges Weihnachtstreiben. Doch sieht man nur Militär. Die Juden feiern Weihnachten nicht, und von der katholischen Zivilbevölkerung ist so gut wie niemand mehr in der Festung. So sind es hauptsächlich Offiziere, Pflegerinnen und Unteroffiziere, die einkaufen. Jeder einzelne Mann soll bedacht werden. Und es kostet dem Sanitätsoffizier schweres Kopfzerbrechen und eine tagelange Jagd von einem Geschäft ins andere, von einer kleinen Judenbutike in die andere, um nur für jeden seiner 200 Mann Sanitätsmannschaft etwas aufzutreiben. In den meisten Geschäften sind heute schon nur mehr die leeren Bordbretter da.

Für die Bescherung der Verwundeten sorgen die Pflegerinnen, und in jeder Nachtwache wird eifrigst an Weihnachtsüberraschungen gearbeitet. Jeder ist dabei auf seine eigene Erfindungsgabe angewiesen, denn tausend kleine Dinge, die man sonst zu haben gewohnt ist, sind nicht da.

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Ilka von Michaelsburg: Im belagerten Przemysl. C. F. Amelang, Leipzig 1915, Seite 95. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:MichaelsburgImBelagertenPrzemysl.pdf/105&oldid=- (Version vom 1.8.2018)