Seite:Moerike Schriften 2 (1878) 063.jpg

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erhöhten, ja Alles schien sich vor mir auszudehnen, zu wachsen und zu strecken, der Länge wie der Breite nach; die Formen schwollen und rundeten sich, die Eiche rauschte in der Luft, zugleich vernahm ich ein winziges Tosen, Schwirren und Klingen von lachenden, jubelnden, singenden Stimmchen, das offenbar aus der Tiefe herkam.

„Stellt Euer Licht weg!“ rief mir der Feldmesser zu, „oder löschet es lieber gar aus! der Mond ist ja schon lang herauf.“ Ich that wie er befahl, und da ließ freilich Alles noch hundertmal schöner. Als ich aber vollends den Kopf über’s Mäuerchen streckte – o Wunder! sah ich das lieblichste Thal sehr artig und festlich erleuchtet, mit tausend geputzten, gepützelten Leutchen bedeckt, die immerhin eine ziemlich ansehnliche Größe hatten, sehr schlank und wohlgebaute Puppen. Es war ein unendliches Drängen. Der meiste Theil bestand aus Landleuten, welche mit Kübeln und Butten geschäftig zwischen den Kufen umsprangen. Eine Weinlese also, und eine königliche zwar! Denn vorn sah man in bunten geselligen Gruppen die Vornehmen vom Hofe, nach hinten zu eine gedeckte Tafel; vor Allem stach ein Zelt hervor, es schien aus blendendweißen Herbstfäden gewoben, mit grünen Atlas-Draperien behängt, welches im Mond- und Fackellicht auf’s Herrlichste erglänzte. Der Feldmesser

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Eduard Mörike: Gesammelte Schriften. 2. Band: Erzählungen. G. J. Göschen, Stuttgart 1878, Seite 63. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Moerike_Schriften_2_(1878)_063.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)