Seite:Moerike Schriften 2 (1878) 096.jpg

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mehr zusammen, seit ich von Frau Sophien rede! Am Ende haben Sie die Baronesse selbst gekannt?

„Gewiß! gewiß hab’ ich! Leibhaftig steht sie wieder vor mir, wie ich sie vor vierzig oder mehr Jahren in meiner Jugend sah.“

„Was ist das?“ brummte hier ein treuherziger Schweizer, der während der Erzählung einigemal sehr merklich eingenickt war: „Bi Gott, ich dacht’, das Alles si halt numme so ne Fabel g’si, jetzt chümmt es doch anderster ufi! Hätt’ ich das eh’ g’wüßt, hätt’ es mich bi miner Ehr’ nit g’schläferet!“

Auf dieß Bekenntniß folgte ein allgemeines, unauslöschliches Gelächter. Der Hofrath endlich nahm das Wort und bat gedachte Dame um eine Schilderung der Frau von Rochen: ein solches Zeugniß, sagte er, wird für meinen Credit als Erzähler entscheiden.

Die angenehme Frau ließ sich nicht lange bitte. „Von allen Gliedern der Familie,“ fing sie an, „war Sophie die letzte, welche dem alten Rittersitz die Ehre ihrer persönlichen Gegenwart schenkte, indem sie den verstorbenen Gemahl, Anselm von Rochen, gern am Ort wo er begraben lag betrauern wollte. Ich sah sie dort mehrmals mit meiner Mutter, und hörte auch später noch Manches von ihr. Ohne gerade menschenscheu zu sein, liebte sie Einsamkeit und Stille über Alles, selbst ihre Kammerfrau verweilte nur

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Eduard Mörike: Gesammelte Schriften. 2. Band: Erzählungen. G. J. Göschen, Stuttgart 1878, Seite 96. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Moerike_Schriften_2_(1878)_096.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)