Seite:OAB Freudenstadt 061.png

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Händel und Streitigkeiten an öffentlichen Orten weniger häufig vor, als in anderen Landestheilen; noch seltener sind Schlägereien und Körperverletzungen. In seinem Auftreten und Benehmen hat der Schwarzwälder unseres Bezirks häufig etwas Ansprechendes und Gewinnendes, indem er den Eindruck der Bescheidenheit, Gutmüthigkeit, Treuherzigkeit und eines unverdorbenen, wenn auch etwas linkischen Wesens macht. Unter dieser harmlosen Oberfläche verbirgt er aber nicht selten einen ungewöhnlichen Grad von Vorsicht, Verschmitztheit und egoistischer Berechnung; er ist gefällig und dienstfertig, dabei aber mißtrauisch und stets mehr oder weniger auf den eigenen Vortheil bedacht. Sein Streben ist vorherrschend auf das Praktische und Lucrative gerichtet. Doch fehlt es ihm keineswegs an geistigem Interesse; nur müssen die Fragen, um die es sich handelt, auf die Wirklichkeit und die practischen Verhältnisse des Lebens Bezug haben. – Hinsichtlich des Verstandes, der Intelligenz und Schulbildung nimmt er zum Mindesten keine tiefere Stufe ein, als seine Standesgenossen in anderen Gegenden des Landes. – Er hat viel religiösen Sinn, ohne jedoch zur Frömmelei oder Schwärmerei sich hinzuneigen. Die Sittlichkeit und das moralische Gefühl verletzende Handlungen ereignen sich im Bezirke nicht häufiger, als anderwärts auch.

Der Glaube an die Einwirkung übernatürlicher Kräfte, an gute und böse (Mittwoch und Freitag) Tage, Verhexungen, sympathetische Heilungen von Krankheiten u. dergl. ist noch sehr verbreitet. So herrscht z. B. unter dem Volke ziemlich allgemein der Glaube, daß Neugeborenen durch böse Geister, Hexen etc. so lange Gefahr drohe, als sie nicht getauft seyen. Zur Abhaltung derselben läßt man in manchen Orten zur Nachtzeit ein Licht bei dem ungetauften Kinde brennen. Um die Viehställe vor Hexen zu schützen, werden dieselben mit Stinköl bestrichen. – Am Charfreitag hält man es für gefährlich, irgend etwas, seyen es Nahrungsmittel oder andere Gegenstände, aus dem Hause abzugeben, weil dadurch dem Einfluß von Hexen Thür und Thor geöffnet werde. – Bei Trauungen steht dem Bräutigam und der Braut in der Kirche ein Freund und eine Freundin zur Seite, welche, wenn sich jene zum Altar begeben, sogleich deren Plätze einnehmen, damit sie nicht von Hexen besetzt und dadurch Unfriede und anderes Unheil in der Ehe gestiftet werde. – Ähnliches ließe sich noch mehr anführen.

Besondere Gewohnheiten und Gebräuche sprechen sich in Folgendem aus. Bei Hochzeiten, zu denen der mit Bändern und Strauß geschmückte Hochzeitlader unter Hersagung eines Spruchs feierlich einladet, wird in den meisten Orten auf dem Lande die

Empfohlene Zitierweise:
Karl Eduard Paulus: Beschreibung des Oberamts Freudenstadt. Karl Aue, Stuttgart 1858, Seite 061. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:OAB_Freudenstadt_061.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)