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an warmem Tage ist gleichfalls der Hausfrau und ihrer Töchter Lust, wobei die Sitte des Fürstreuens noch hie und da geübt wird mit dem Spruch:

Hier schüttl i meine Angla,
Den Herrn nem i g’fanga,
G’fange müßt se sei,
Bis sie in Sack nei lange;
Dent se mer ebbes spendira,
So laß ich ui passira,
Spendiret se aber nint,
So bleibet mer doch guot Frind.

(Mündlich aufgenommen in Frommern.)

Der Hanf wird zumeist ins Haus und für die künftige Aussteuer verwendet, und ist eine Mahnung an den in Aussicht stehenden Ausding. Ist des Lebens Lust und Mühe getragen, das Kinderhäuflein großgezogen, alle bis aufs letzte untergebracht, dann wird unter den Kindern von den Eltern das Vermögen getheilt und diese ziehen in das Ausdingstübchen, wo Vater und Mutter im Alter in Ehren gehalten werden, leider auch nicht selten erfahren müssen, daß auf der Kinder Bänken hart zu sitzen ist, wenn sie die Thorheit begangen, nicht fürs Alter die nöthigen Mittel zu sichern in Feld und Stall. Finden Kinder kein Unterkommen im elterlichen oder schwiegerelterlichen Hause, so wird, jedoch selten, zum Neubau geschritten. Dieser wird ohne Techniker nach dem Entwurf des Zimmermeisters und Maurers ganz nach hergebrachter Weise ausgeführt, Freunde und Nachbarn leisten treulich Beihilfe mit Fuhren und Handlangen. Hat der Zimmermann aufgeschlagen, so kommt ein Maien mit Bändern auf das Haus und wird eine kleine Festlichkeit veranstaltet mit Schießen und allerlei Neckereien, welche im Zimmerspruch kulminiren. Ein Geselle hält denselben und bekommt als Lohn dafür ein buntes Tuch; hinter ihm steht ein Mitarbeiter mit einer Weinflasche und Glas und stärkt ihn, während der meist scherzhaften Rede, wie z. B.

Nun wünsch ich dem Bauherrn ein fett Rind,
Der liebwerthen Baufrau ein Kind
und der Tochter zwei
und ihrer Magd drei,
Dann gibt’s ein ganzes Hausgeschrei.

Derartige Reimereien kommen noch viele vor. Den Schluß bildet, nach geleerter Flasche das Herabwerfen des Glases mit den Worten: „Wenn’s bricht, gibt’s hier keine keuschen Jungfern nicht“, worauf sämmtliche Mädchen sich befleißen, das Glas in der Schürze aufzufangen, um dem allgemeinen Gelächter zu entgehen, zugleich um ein ungünstiges Zeichen abzuwenden für das Glück des Hauses, was im Zerbrechen des Glases gesehen wird. Vereinzelt findet sich die Sitte, Sprüche am Hause anzubringen. Unsichtbar steht über allen: „Wir haben hier keine bleibende Stadt.“ Fällt einem Hause das Todesloos, so zeugt manche schöne Sitte, daß trotz allem Scherz der Gedanke an die Hinfälligkeit alles Irdischen die Herzen erfüllt. Die Todten- und Leichengebräuche lassen am tiefsten ins Herz des Volkes sehen. Stirbt

Empfohlene Zitierweise:
Julius Hartmann, Eduard Paulus: Beschreibung des Oberamts Balingen. W. Kohlhammer, Stuttgart 1880, Seite 124. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:OABalingen0124.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)