Seite:OAHerrenberg 298.png

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Die im einfachen, germanischen Styl erbaute Pfarrkirche hat durchgängig spitzbogige, in den Bogentheilen mit germanischem Maßwerk gefüllte Fenster, und an dem mit einem halben Achteck schließenden Chor sind Strebepfeiler angebracht. Der massive Thurm ist in seinen unteren Theilen viereckig und mit Schußscharten versehen, gegen oben geht er in ein mit germanischen Fenstern versehenes Achteck über, auf dem ein hohes, schlankes Zeltdach sitzt. An der Stelle, wo der Thurm anfängt achteckig zu werden, stehen auf den vier Ecken desselben freie, mit Krappen und Giebelblumen verzierte Fialen. Unten am Thurm ist die Jahreszahl 1476 angebracht, an einem südlichen Strebepfeiler des Chors steht anno domini 1477, und über dem Eingang auf der südlichen Seite des Langhauses 1484; aus diesen angegebenen Jahreszahlen geht hervor, daß die Kirche von 1476–1484, also innerhalb 9 Jahren, erbaut wurde. Das Innere der Kirche ist geräumig, übrigens durch Emporen verbaut und verdüstert; von dem ziemlich schmalen Langhaus führt ein spitzbogiger Triumphbogen in das mit einem schönen Netzgwölbe gedeckte Chor, dessen Schlußsteine in der Richtung von Westen nach Osten folgende Figuren enthalten: 1) das Schweißtuch, 2) eine Heilige mit Kelch und Hostie in der Rechten und einem Messer in der linken Hand; zu ihren Füßen steht eine Kirche. 3) Maria mit dem Jesuskinde. Die Gewölbegurten gehen von Consolen aus, welche die 12 Apostel vorstellen; überdieß sind noch einige im germanischen Geschmack sehr gut gehaltene Chorstühle vorhanden. Die Erhaltungskosten der Kirche werden theils von der Stiftungs-, theils von der Gemeindepflege bestritten. Der um die Kirche gelegene, mit einer hohen, festen Mauer umgebene Begräbnißplatz ist aufgegeben und dagegen außerhalb des Orts ein neuer angelegt worden.

Das in der Nähe der Kirche gelegene, vom Staat, der auch den Pfarrer ernennt, zu erhaltende Pfarrhaus nebst Ökonomiegebäuden, Hofraum und Garten, bildet einen angenehmen wohlgeschlossenen Pfarrsitz.

An die südöstliche Mauer des alten Kirchhofs stößt das sehr ansehnliche, 1838 namhaft erweiterte Schulhaus, von dessen oberen Gelassen man eine äußerst freundliche Aussicht in das Ammerthal, in die Gegend von Rottenburg, an die Wurmlinger Kapelle und an einen Theil der Alp genießt; dasselbe enthält auch die Wohnung des Schulmeisters, welcher mit einem Lehrgehülfen an der Volksschule unterrichtet.

Das 1750 ganz massiv erbaute, geräumige Rathhaus steht an der Hauptstraße beinahe mitten im Ort und befindet sich in gutem Zustande.

Empfohlene Zitierweise:
Eduard Paulus: Beschreibung des Oberamts Herrenberg. Eduard Hallberger, Stuttgart 1855, Seite 298. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:OAHerrenberg_298.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)