Seite:OARottweil0192.jpg

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4. Die Lorenzkapelle, bei der nordöstlichen Ecke der Stadtmauer im alten noch ummauerten Friedhofe gelegen, und mit seinem östlich stehenden Chore hoch gegen das schroff abstürzende Neckarthal hinabschauend. Die Kapelle ist im spätesten gothischen Stil gebaut, jedenfalls erst im 16. Jahrhundert, zeigt eine große Trefflichkeit und Kraft in ihren Profilirungen, ja es scheint beinahe schon einen Einfluß der Renaissance; hiefür sprechen auch die sehr verwickelten Steinmetzzeichen, so daß man ihrer Vollendung in’s Jahr 1579 setzen darf. (s. Ruckg.) Der Chor ist halbrund geschlossen, aber wie das Schiff mit Strebepfeilern besetzt. Die beiden Portale (im Westen und Süden) sind reich und sehr kraftvoll profilirt, die Spitzbogenfenster mit schönen Maßwerksmustern gefüllt. Das Innere zeigt ein Netzgewölbe mit zierlichen Schlußsteinchen, enthält in der Mitte ihres Bodens vertieft eingelassen das Mittelbild des berühmten Mosaikbodens mit der Darstellung des Orpheus (s. unten S. 223), und rings umher die so werthvolle Dursch’sche Sammlung von altdeutschen Holzschnitzwerken, altdeutschen Gemälden und Glasmalereien. Diese befand sich bis zum Jahre 1851 im Chor der Kapuzinerkirche zu Wurmlingen bei Tuttlingen; weil aber der Ankauf derselben durch die hiesige Stadtgemeinde die höhere Genehmigung nicht erhielt und zu befürchten war, daß die so interessante Sammlung in’s Ausland verkauft werde, so erwarb sie Seine Majestät der verewigte König Wilhelm I. aus eigenen Mitteln und machte sie der Stadt Rottweil zum Geschenk. Sofort wurde die Sammlung am 14. Oktober 1851 der Stadtgemeinde zu bleibendem Eigenthum übergeben. Die Sammlung besteht aus 175 Stücken, darunter 7 Glasgemälde, ist in dem im Jahre 1862 in Rottweil gedruckten Verzeichnisse der altdeutschen Schnitzwerke und Malereien in der St. Lorenzkapelle mit erläuterndem Text aufgeführt, und enthält zum Theil Kunstwerke von höchster Schönheit, so jene trauernden Frauen (nicht ganz Lebensgröße), die auf dem Dachboden der Pfarrkirche zu Eriskirch am Bodensee gefunden wurden; in Gewalt des Ausdrucks, Anmuth der Gesichter und der Bewegungen und reicher antikschöner Fältelung der Gewänder ein ewig bewunderungswürdiges Werk der deutschen Holzsculptur des 15. Jahrhunderts (im Verzeichniß Nr. 6, 8 und 140). Ferner sind anzuführen Nr. 1 St. Anna, 3′ 3″ hoch, aus der Pfarrkirche zu Hausen ob Verena. Nr. 7 Hautrelief, die heilige Familie, außerordentlich zart, soll in der Stadtkirche zu Biberach gewesen sein. Nr. 9 Maria mit dem Christkind, 2′ 2″ hoch, früher in der Pfarrkirche zu Ennetach, Oberamts Saulgau, wo noch Chorstühle von Jörg Syrlin vom Jahre 1506 zu sehen sind. Nr. 18 heil. Sebastian, 3′ hoch, von Dürnau bei Göppingen. Nr. 22 hl. Anna von

Empfohlene Zitierweise:
Karl Eduard Paulus: Beschreibung des Oberamts Rottweil. H. Lindemann, Stuttgart 1875, Seite 192. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:OARottweil0192.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)