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Pocken in kleinen Ortsepidemien. Die Pandemie der Jahre 1865 bis 1866 war jedoch verhältnißmäßig schwächer als in vielen andern Bezirken. Die Ruhr war 1857 allverbreitet, zeigte aber in den Jahren 1861–62 nur ein beschränktes Vorkommen. Von den letztgenannten Jahren ist noch erwähnenswerth, daß die kleine Gemeinde Hagelloch (577 Ortsanwesende) im November und December 1861 von den Masern vollständig durchseucht wurde, worauf im Sommer 1862 Scharlach und Ruhr gleichzeitig herrschten und zuletzt noch der Keuchhusten hinzukam. Durch größere epidemische Morbilität sind außerdem noch ausgezeichnet: Kusterdingen und Walddorf (Typhus, Ruhr, Scharlach, Pocken). Wird nun noch erwähnt, daß der sogenannte Zoster (eine blasige Rothlaufform, welche als Halbgürtel zwischen Hüften und Rippen erscheint) verhältnißmäßig häufig vorkommt und daß das hitzige Gliederweh durch Affizirung des Hirns von Zeit zu Zeit tödtlich wird, so ist das Bemerkenswertheste der epidemischen Erscheinungen des Bezirks nahezu erschöpft.

Unter den chronischen Krankheiten spielt die Hauptrolle der dem vorherrschenden Lebensberuf, dem Feldbau, entsprechende chronische Lungencatarrh, welcher so häufig Luftgeschwulst und Ödem zur Folge hat und mit Wassersucht endigt. Verhältnißmäßig selten ist dagegen die Lungentuberkulose, weit häufiger sind die organischen Herzfehler. Die Magencatarrhe mit ihrem Gefolge sind weniger verbreitet als in andern Bezirken, was vielleicht mit dem weniger allgemeinen Genuß des Branntweins zusammenhängt. Die Bleichsucht, schon in der Stadt selten, kommt auf dem Lande fast gar nicht vor. Die schweren Neurosen, Epilepsie und Irrsinn zeigen gleichfalls ein sehr mäßiges Vorkommen, wovon in Betreff des letztgenannten Übels nur Gönningen eine Ausnahme macht. – Kräze, im Laufe der letzten Jahre (etwa von 1857 an), fast ganz verschwunden, taucht erst seit dem vorigen Jahre, ohne Zweifel in Folge der weniger guten Nahrungsmittel (Cerealien) und der Verkehrsstockung etwas mehr wieder auf. Dagegen ist Syphilis äußerst selten. Der Blasenstein ist gleichfalls eine seltene Erscheinung und die Hernien zeigen eine nur mäßige Verbreitung.

Die Lebensweise der Bezirksbewohner, ist, wie fast überall in Schwaben, eine sehr frugale. Milch- und Mehlspeise (Knöpflen, Brod, saure Milch und Käse) in erster Reihe, Gemüse, namentlich Hülsenfrüchte und Sauerkraut in zweiter Reihe, bilden die Kost des Landmanns; Obstmost, in sehr verdünnter Form, sein Getränke. Fleisch, selbst Schweinefleisch, wird auf dem Lande wenig genossen, worauf schon das seltene Vorkommen des Bandwurms hindeutet, denn

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Karl Eduard Paulus: Beschreibung des Oberamts Tübingen. H. Lindemann, Stuttgart 1867, Seite 114. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:OATuebingen_114.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)