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dieser Richtung war Christian Gottlob Storr, der zuerst 1775 außerordentlicher Professor der Philosophie, dann von 1777–1797 Professor der Theologie war, und gegenüber der in der Aufklärungsperiode des 18. Jahrhunderts herrschend gewordenen Antipathie nicht nur gegen kirchliche Orthodoxie, sondern auch gegen das positiv Christliche sich die Aufgabe stellte, auf dem Grund der heiligen Schrift eine Vermittlung zu versuchen, und einerseits den veralteten Scholasticismus des orthodoxen Systems wegzuwerfen, andererseits von dem positiven Inhalt des Christentums festzuhalten, was nur immer mit den Mitteln der neuen Bildung gerettet werden konnte. Obgleich er sich hauptsächlich auf die Schrifterklärung stützte und nichts behaupten wollte, was nicht mit einer Bibelstelle belegt werden konnte, so wußte er doch auch geschickt die herrschende Philosophie jener Zeit als Bundesgenossin für sein System zu benützen. Das von Kant behauptete Unvermögen der theoretischen Vernunft zur Erkenntniß der letzten Gründe gab ihm Veranlassung, auf die Offenbarung als die willkommene Ausfüllung der Lücke hinzuweisen und dadurch die Forderungen der praktischen Vernunft zu befriedigen. Damit fügte er seine Theologie in die Entwicklung des Zeitgeistes ein und gab seinem System den eigenthümlichen Charakter gegenüber der alten Orthodoxie. Sein wissenschaftliches Ansehen wurde noch unterstützt durch eine vielseitige Bildung und Gelehrsamkeit und einen humanen, christlich frommen und sittlich ernsten Charakter, vermöge dessen er bei seinen Zeitgenossen in der größten Achtung stand. Storr’s Lehrbuch der Dogmatik war durch landesherrliche Verordnung die Grundlage alles theologischen Unterrichts, es wurde den zur theologischen Laufbahn bestimmten Jünglingen schon beim Eintritt in die niedere Klosterschule nebst der Bibel mit auf den Weg gegeben und galt ein halbes Jahrhundert lang als authentische Norm der württembergischen Orthodoxie. Die Schule, welche Storr gegründet hatte, wurde durch eine Reihe begabter junger Männer, die seine Kollegen und Nachfolger wurden, fortgesetzt und weiter ausgebildet; die beiden Brüder Flatt, Johann Friedrich und Karl Christian, Friedrich Gottlob Süskind, Ernst Gotttob Bengel sind die noch jetzt in der kirchlich theologischen Überlieferung lebendigen Träger des Storrischen Systems. Der letzte Vertreter desselben war der 1837 verstorbene Professor J. C. Steudel.

Neben den genannten Männern müssen noch zwei andere Mitglieder der theologischen Fakultät jener Zeit hier erwähnt werden, Joh. Friedr. Lebret und Christian Friedr. Schnurrer. Jener, ein um die Geschichte Italiens sehr verdienter Gelehrter, wurde, nachdem er öfters

Empfohlene Zitierweise:
Karl Eduard Paulus: Beschreibung des Oberamts Tübingen. H. Lindemann, Stuttgart 1867, Seite 290. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:OATuebingen_290.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)