Seite:OATuebingen 336.png

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Ein ähnliches geht in das an den westlichen Flügel des Kreuzganges stoßende Winterrefektorium. Dieses, das sogenannte Rebenthal, 771/2′ lang, 34′ breit, hat seinen Eingang vom Westflügel des Kreuzganges aus und ist mit leichtgesprengter Balkendecke überlegt, deren drei Unterzüge an ihren Enden auf steinernen Konsolen, in der Mitte auf hölzernen Freipfosten ruhen. Balken wie Pfosten sind sehr zierlich geschnitzt; sie waren von jeher an ihren Ornamenten farbig bemalt; der neue, etwas zu derbe Anstrich erstreckt sich leider über die ganze Decke. An den Wänden, ausgenommen die östliche, ziehen fast verblichene Fresken von großer Trefflichkeit aus dem Schluß des 15. oder Anfang des 16. Jahrhunderts hin; die noch am besten erhaltenen sind an der nördlichen Wand und zeigen auf der linken Seite eine Stadt mit einer Kirche, an deren Mauer das Wort CALATRAVIA sich findet. Von dort aus bewegt sich ein Zug von Mönchen mit einer Fahne gegen die Mitte hin, wo ein anderer ähnlicher Zug hält, der von den Schiffen auf der rechten Seite des Bildes herzukommen scheint. (Das Bild wird sich ohne Zweifel auf den im Jahr 1158 aus dem Cistercienserorden entstandenen Ritterorden von Calatrava beziehen, ist übrigens so beschädigt, daß es nicht möglich ist, den dargestellten Vorgang genauer zu erkennen.) Die Konsolen bestehen aus wappenschildhaltenden Engeln; auf den Schildern der südlichen Wand sind aufgemalt die Wappen von Württemberg, Fridingen, Bebenhausen, Tübingen, auf den übrigen die des deutschen Reiches, der sieben deutschen Kurfürsten und (neben Württemberg) das Wappen von Ulrichs Gemahlin Sabina. An dem nördlichen Freipfosten stehen die Wappen von Fridingen und Bebenhausen und die Jahreszahl 1513. Durch eine niedrige Thüre tritt man in das nördlich anstoßende Sprachzimmer, Parlatorium, eine Halle mit sechs Achteckspfeilern, in der die schweren Formen des romanischen Kapitelsaales doch mit spätestem gothischem Beigeschmack wiedergegeben sind, ein merkwürdiges, vereinzelt stehendes Beispiel von Nachahmung des romanischen Stiles in jener Zeit; an einem der spitzbogigen Quergurten steht 1530, wohl das Jahr der Vollendung. Die Decke ist auch wie im Kapitelsaale mit Flammen und Blumen, aber lange nicht so fein wie dort, bemalt. Auf dem Südgiebel des Winterrefektoriums, das samt dem Parlatorium außen ein einfaches zweistockiges Haus mit geraden Sprossenfenstern bildet, sitzt ein zierlich durchbrochenes spätgothisches Glockenthürmchen. Parlatorium und Winterrefektorium wurden begonnen von Abt Bernhard Roggenbuch, aber erst unter Abt Johann von Fridingen vollendet.

Empfohlene Zitierweise:
Karl Eduard Paulus: Beschreibung des Oberamts Tübingen. H. Lindemann, Stuttgart 1867, Seite 336. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:OATuebingen_336.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)