Seite:OATuebingen 420.png

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Kusterdingen,

Gemeinde II. Klasse mit 1132 Einw., worunter 7 Katholiken. Ev. Pfarrei; die Kath. sind nach Tübingen eingepfarrt. 11/4 Stunden östlich von Tübingen gelegen.

Der große freundliche, von Süd nach Nord in die Länge gedehnte Ort liegt frei und angenehm auf der zwischen dem Neckar- und dem Echazthale sich erhebenden Hochfläche und zwar ganz am Anfange des nordöstlich gegen das Neckarthal ziehenden Ramsbachthälchens. Rings um den Ort gehen schöne Obstbaumwiesen und treten zwischen den stattlichen, etwas zerstreuten Häusern bis an die gut gehaltenen, gekandelten Straßen heran. Aussichten an die Kette der Alb vom Staufen bis zum Zollern hat man schon im Orte und dann in seiner Nähe, namentlich vom Bahnholz (Wolfsgrube) und vom Wankheimer Weg aus.

Die große sehr sehenswerthe Kirche steht etwas erhöht inmitten des Dorfs auf dem alten, von einer 4′ dicken Mauer mit Umgang umschlossenen Friedhofe, und ward in spätgothischem Stile mit schönen gefüllten Spitzbogenfenstern und hohem, von kräftigen Strebepfeilern besetztem Chor erbaut. Über der geraden Stabwerksthüre der Westseite steht: anno doni 1506 uff den 22 tag d aprellen ist gelegt der erst stein. Über dem Südportale steht 1507. Im Innern hat das geräumige Schiff eine flache geschnitzte Holzdecke; diese zerfällt in rechteckige mit Rosetten bemalte Vertäfelungen, die getheilt werden von prachtvoll gothisch geschnitzten Rahmen, und zwar noch ganz in der alten Bemalung: es sind Traubengewinde mit Vögeln, oder Blätterranken mit großen Blumen und Masken, alles von schönster Bewegung und trefflich in der Farbe. Der Thurm ragt etwas über die Nordwand der Kirche herein und an seiner Ecke ist die steinerne gothische Kanzel angebracht; der Taufstein ist von 1521, hohl, achteckig und in schönem, spätgotischem Stile gehalten; auf der westlichen Empore steht ein großes gothisches Krucifix von sehr edlem Ausdruck; an der nördlichen Wand ein gutgemaltes Epitaphium in Renaissancefassung von Ulrich Pregitzer von Tübingen (Pfarrer allhier von 1571 bis zu seinem Tode 1597) und seiner Frau, gestorben 1606.

Der in den Chor führende, schön gegliederte Triumphbogen ist spitz; der Chor selbst hat ein reiches Netzgewölbe, das noch herrlich mit Flammen und Ranken, worin Vögel sitzen, bemalt ist. Die Schlußsteine enthalten die h. Lucia, zwei prächtige Rosetten, Maria mit dem Kinde, das herzoglich württembergische Wappen, das Zeichen des Steinmetzen und einen Engel, der die Seele eines Menschen wägt,

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Karl Eduard Paulus: Beschreibung des Oberamts Tübingen. H. Lindemann, Stuttgart 1867, Seite 420. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:OATuebingen_420.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)