Seite:OberamtMergentheim0121.jpg

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ganz gerade Weise, wenn es nur nicht an förmlichen Betrug streift, einen Vortheil erringen, gilt nicht als Unehre; mancher findet seinen Stolz darin, als ein solcher Schlaumaier zu gelten; diese Abgeschlagenheit ist zum guten Theil wohl auch durch den vielen Umgang mit Juden veranlaßt, die bei dem Bauern durchaus eine bedeutende Rolle spielen, diesem aber doch gar nicht immer gewachsen sind und sich viel von ihm gefallen lassen müssen.

Die religiöse Anschauung ist frei und tolerant; die Gemüthstiefe des Schwaben ist zwar nicht zu finden, aber doch ist das Volk christlich-religiös gesinnt, für Excentrisches oder Mystisches freilich nicht empfänglich, wie denn Pietismus oder sonstiges Sektirerwesen keinen Boden findet, ohne daß jedoch hiedurch Kirchenbesuch und Achtung vor geistlichem und weltlichem Amt Noth litte. Im Gegentheil, besonders vor Oberamt und Oberamtsgericht besteht eine ziemlich heilsame Scheu; weniger ist dies der Fall gegenüber der Polizei, mit kleinen Ausschreitungen dieser gegenüber wird es nicht besonders genau genommen. Querulanten gibt es wie überall, eigentliche Verbrechen sind verhältnismäßig selten. Aberglauben existirt immer noch einigermaßen. Fleischliche Verirrung wird nicht zu hart beurtheilt, wenn sie keine Folgen hat, sogar mild; die ledigen Burschen der bäuerlichen Bevölkerung haben häufig ihren Schatz, den sie auch meist heiraten, wenn einmal die Alten das „Sach“, resp. den Hof abgeben. In dieser Beziehung herrscht vom Großbauer bis zum Häcker herab der feste Brauch, daß kein Gut oder Anwesen getheilt wird (Majoratssystem). Eines der Kinder, und nicht immer der älteste Sohn, bekommt das Ganze um einen meist ziemlich billigen Anschlag, zu einer Zeit, wenn es den Alten gerade paßt, oder wenn das betreffende Kind gerade eine gute Partie machen kann. Vermögen, freie Wohnung und ein Leibgeding oder freie Verköstigung wird sich von den Alten vorbehalten, die Geschwiester werden mit Geld abgefertigt und müssen sehen, wie sie später an- resp. unterkommen, und gibt es deswegen keinen Streit oder Neid; man weiß es nicht anders und hält nach wie vor gut zusammen. Vorhandene Schulden können freilich auch ab und zu dann Disharmonie erzeugen, im Ganzen aber verdankt man dieser Einrichtung den Fortbestand größerer Bauernhöfe und unter den Kleinbauern und Häckern noch einen passabeln mittleren Wohlstand.

Unter den Nachbarn besteht meist ein gutes Verhältnis; man hilft sich gegenseitig gern aus und auch der Reichere versagt

Empfohlene Zitierweise:
Julius Hartmann, Eduard Paulus: Beschreibung des Oberamts Mergentheim. W. Kohlhammer, Stuttgart 1880, Seite 121. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:OberamtMergentheim0121.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)