Seite:OberamtMergentheim0132.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
20. Die heilige Hostie in Röttingen-Schäftersheim.

Gegen das Jahr 1300, vielleicht im Zusammenhang mit Erwartungen der Wiederkehr Jesu Christi am Ende des Jahrhunderts, herrschte in Franken weitum eine sehr aufgeregte Stimmung gegen die Juden. Es giengen verschiedentliche Gerüchte von getödteten Christenkindern, von Mißhandlung geweihter, durch Juden gestohlener, oder heimlich gekaufter Hostien, und der Unwille des Volks brach in Verfolgungen aus, zumal als ein ritterlicher Herr Namens Rindfleisch – nach Wibel ein „schlechter Bauer“ – als Prophet mit dem ihm angeblich von Gott gewordenen Beruf, die Juden zu vertilgen, aufstand.

Unter den Orten, an welchen es zu gewaltsamen Ausbrüchen kam, werden neben Würzburg und Nürnberg namentlich auch Rothenburg und Mergentheim genannt.

Manche jüdische Hausväter sollen sich mit Weib und Kindern in ihren Häusern verbrannt haben, damit nicht etwa ihre Angehörigen könnten gewaltsam getauft werden.

Einer Sage nach soll diese ganze Judenverfolgung an der Tauber in Röttingen, einem damals hohenlohischen, jetzt bayerischen Grenzstädtchen von circa 1500 Einwohnern, begonnen haben, wo ein Jude vom Kirchner (Meßner) eine Hostie gekauft, sie mit Nadeln durchstochen und in die Tauber geworfen, nach anderer Version im Mörser zerstoßen oder anderweitig zerstückelt und unter verschiedenen Judengemeinden vertheilt oder an verschiedenen Orten vergraben haben und deshalb mit dem Meßner verbrannt worden sein soll. Wibel I, 246 ff., Wirt. Franken 5, 370.

In der Hauptkirche zu Röttingen hängt ein Bild, – früher an der Wand neben der Kanzel, jetzt auf der anderen Seite an der Orgelempore, – auf welchem der Gang der Sage dargestellt ist.

Um ein Christusbild mit dem heiligen Brot in der Hand sind sechs kleinere Ovalbilder gruppirt, nemlich:

1. Der Kirchner, wie er in der Kirche dem Ciborium eine Hostie entnimmt.

2. Wie er sie gegen 10 Silberthaler an den Juden verkauft.

3. Ein Gemach, in welchem 3 Juden um einen Tisch sitzen, von denen der mittlere die Hostie mit Nadeln oder Messern durchsticht, während die beiden anderen, über das herausträufelnde Blut entsetzt, die Hände über den Köpfen zusammenschlagen und von ihren Stühlen aufspringen.

4. Der Jude wirft unter Entsetzen oder wohl auch mit einem Fluch die Hostie in die Tauber, deren Wellen die mit einem Strahlenkranz umgebene davon tragen.

5. Drei Prämonstratenser-Nonnen des Klosters Schäftersheim fangen die strahlenumglänzte Hostie mit dem unteren Theil ihres Skapuliers aus der Tauber auf.

6. Verbrennung des Juden und Kirchners auf dem Scheiterhaufen.

Oben stehen auf einem gewundenen Bande die Worte: „Geschichte der siegenden Wahrheit“ und unten ebenfalls auf einem Bande „Der gestraften Bosheit. Dieses geschah Röttingen 1288“. (Bei einer Restauration des Bildes wohl statt 1298 oder 99 aus Versehen gemalt.)

Empfohlene Zitierweise:
Julius Hartmann, Eduard Paulus: Beschreibung des Oberamts Mergentheim. W. Kohlhammer, Stuttgart 1880, Seite 132. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:OberamtMergentheim0132.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)