Seite:Oberamt Gmuend 184.jpg

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Karl Eduard Paulus der Ältere unter Mitarbeit von seinem Sohn Eduard und – für das Geschichtliche – von Hermann Bauer: Beschreibung des Oberamts Gmünd

Zwei stattliche Portale öffnen sich in der Mitte der Seitenschiffe und zwei sehr reiche, die Hauptportale, zu beiden Seiten am Anfang des Chores. Vor dem in das südliche Seitenschiff mündenden spannt sich zwischen die Strebepfeiler ein schönes kräftiges Rippenkreuzgewölbe, dessen vier Rippen von Konsolen mit den vier scharf gearbeiteten Evangelistensymbolen ausgehen; im Bogenfelde sind zwei figurenreiche Gruppen, der Tod und darüber die Krönung Mariä; das entsprechende Portal an der Nordseite, dessen Vorhalle aus großen, geraden, auf einem Flachbogen ruhenden Steinplatten gebildet ist, zeigt im Bogenfelde die Anbetung und darüber die Geburt Christi, und am Eingang in zwei über-lebensgroßen sprechend bewegten Gestalten den englische Gruß. Sämtliche Gestalten haben noch die alte Bemalung und sind in jener großartigen, feierlichen, ausdrucksvollen Weise gehalten, die jenem Jahrhundert eigen ist, und mit allem Ernst in den Bewegungen und in den Zügen der Gesichter doch eine stille Anmuth verbindet. Die beiden Portale am Choranfang sind die eigentlichen Prachtpforten der Kirche und beide mit hohen Vorhallen versehen. Das südliche hat in der Wölbung seiner Vorhalle eine Reihe von Reliefs, welche die Schöpfungsgeschichte (z. Th. erneuert) und die Geschichten Adam’s und Noah’s darstellen. Am Eingange selbst stehen Moses und Jesaias (dieser von Holz) und in der tiefen Leibung auf schwalbennesterartigen Konsolen über einander zehn Propheten, in der zweiten Reihe sehr schöne Engel mit Marterwerkzeugen. Im Bogenfelde selbst zeigt sich das jüngste Gericht in drei Bilderreihen; oben thront Christus, daneben die zwei posaunenden Engel des Weltgerichtes und darunter sitzen auf ihren Stühlen die zwölf Apostel; ganz unten schaut man die Auferstehung der Todten und die Abführung in Himmel oder Hölle. Das Gewölbe der Vorhalle des nördlichen Prachtportals wurde beim Einsturz der Thürme zertrümmert, musste neu aufgeführt werden und zeigt jetzt ein außerordentlich reiches spätgothisches Netzgewölbe mit vielfach sich drehenden, windenden und verschränkenden Rippen; an den Seitenwänden der Vorhalle stehen die schönen, vor einigen Jahren leider erneuerten Bildsäulen der klugen und der thörichten Jungfrauen, dann in der Thürleibung wieder in zwei Konsolenreihen hinter einander sind Darstellungen der Martyrien der Apostel und anderer Heiliger. Das Bogenfeld erfüllen in drei Reihen Scenen aus der Leidens- und Erlösungsgeschichte. Diese Darstellungen in kleinem Maßstab stammen auch aus der Zeit der Erbauung der Kirche, erreichen aber nicht den hohen Stil der schon genannten; doch fehlt es im Einzelnen nicht an schönen und ergreifenden, z. Th. sogar humoristischen Zügen. Die Kirche ist aus einem etwas derbkörnigen, weißlichen aber dunkelgrau werdenden Keupersandstein erbaut, die Skulpturen und alle feineren Zierden sind aus einem trefflichen feinkörnigen,

Empfohlene Zitierweise:
Karl Eduard Paulus der Ältere unter Mitarbeit von seinem Sohn Eduard und – für das Geschichtliche – von Hermann Bauer: Beschreibung des Oberamts Gmünd. Stuttgart: H. Lindemann, 1870, Seite 184. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Oberamt_Gmuend_184.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)