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Karl Eduard Paulus der Ältere unter Mitarbeit von seinem Sohn Eduard und – für das Geschichtliche – von Hermann Bauer: Beschreibung des Oberamts Gmünd

große Anzahl von Filialanstalten wird bereits von Gmünd aus bedient und in Gmünd selber die Krankenpflege auch in Privathäusern auf Wunsch besorgt – seit 1862.

Im ehemaligen Kapuzinergarten ist von diesem Mutterhaus 1861 bis 63 eine katholische Irrenanstalt zu St. Vincenz errichtet worden für 80–100 Kranke, mit eigener Hauskapelle. Eine andere Veranstaltung des Mutterhauses ist die Kleinkinderschule.

Endlich sei auch noch der Passionsspiele gedacht, welche bis 1803 in Gmünd von zahlreichen Theilnehmern aus allen Schichten der Einwohnerschaft je am Gründonnerstag und Charfreitag auf dem nördlichen Pfarrkirchhof aufgeführt wurden, vor großer Zuschauermenge aus Stadt und Land. Das Stück selbst, wie es zuletzt sich gestaltet hatte, ist zu lesen in Holzwarths katholischer Trösteinsamkeit, Bändchen 7. Mainz 1856.

Das kirchliche Leben durchdrang in den ältern Zeiten überhaupt das ganze öffentliche und Familienleben, wo gemeinsames Gebet, Weihung aller Lokalitäten durch Weihwasser, Palmzweige u. dgl. zur allgemeinen Ordnung gehörten. Verschiedenerlei Dinge des häuslichen Gebrauchs wurden regelmäßig geweiht, z. B. Salz am heiligen Dreikönigstag bei den Kapuzinern (welche auch die Weihung der Häuser besorgten), Wein mit dem „Johannissegen“ u. dgl. m. Zahlreiche Processionen zogen durch die Stadt und in benachbarte Kirchen und Dörfer; während der Adventszeit kamen die Sternsinger und in allen Kirchen wurden Krippelein aufgebaut, das Palmfest brachte den Umzug mit dem Palmesel, am Gründonnerstag bettelten die „12 Apostel“ durch die Stadt und empfingen dann ein gestiftetes Mittagsmahl; am Charfreitag zogen viele Geißler, Kreuzschleifer und Ausspanner (die Arme ausgespannt haltend) auf den Salvator, an Ostern communicirte alle Welt, (der gesamte Magistrat mit allen seinen Officianten am Gründonnerstag); eine besonders festliche Procession war am Fronleichnamsfest, am Nikolaustag bescherte der Sankt Klos u. s. w. Gewissenhaft feierte man für jede Kirche und Kapelle die Kirchweihe in deren Bereich und zumal in den benachbarten Wirthshäusern.

Gleich nach der Geburt bekam jedes Kind sein Scapulier, das lebenslang nicht vom Leibe kam, und nicht blos der Magistrat ging mit dem Rosenkranz zu Rath, sondern jedermann trug ihn, oft den ganzen Tag, nicht blos zur Kirche. Die bürgerlichen Hauptverhandlungen, z. B. der Schwörtag, begannen mit feierlichen Gottesdiensten und jede Zunft zog an ihrem Jahrstag vor allen Dingen in die Kirche. Der Magistrat war allmählig den 4 Mönchsklöstern der Stadt affiliirt. Durch Processionen feierte man das Andenken aller Gnadenerweisungen Gottes z. B. der Durchhilfe im schmalkaldischen Krieg, des Einsturzes der Pfarrthürme ohne weitern Schaden u. s. w.

Empfohlene Zitierweise:
Karl Eduard Paulus, Eduard Paulus, Hermann Bauer: Beschreibung des Oberamts Gmünd. Stuttgart: H. Lindemann, 1870, Seite 272. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Oberamt_Gmuend_272.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)