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Philon: Ueber das Leben Mosis (De vita Mosis) übersetzt von Benno Badt

bei dem der niedrigsten Müllerin[1]. 135 Um Mitternacht nämlich wurden die, welche zuerst ihren Eltern den Namen „Vater“ und „Mutter“ zugerufen hatten und von ihnen wiederum zuerst als Söhne angesprochen worden waren, in voller Gesundheit und Körperkraft alle ohne jeden äusseren Anlass im jugendlichen Alter plötzlich dahingerafft, und kein Haus blieb damals, so wird erzählt, von diesem Unglück verschont. 136 Bei Tagesanbruch, als alle ihre Lieblinge, mit denen sie noch bis zum Abend zusammen gelebt und zusammen gespeist hatten, unerwarteter Weise tot sahen, wurden sie begreiflicherweise von tiefem Weh ergriffen und erfüllten alles mit Wehklagen, sodass infolge des gemeinsamen Leides alle insgesamt einmütiges Wehgeschrei erhoben und eine einzige Klage im ganzen Lande von einem Ende zum andern erscholl. 137 So lange nun ein jeder in seinem Hause weilte und keiner von dem Unglück des Nachbarn eine Ahnung hatte, bejammerte jeder nur das eigene Missgeschick; als sie aber hinaustraten und das Unglück der anderen erfuhren, da erfasste sie sofort doppeltes Weh, neben dem eigenen noch das gemeinsame, neben dem kleineren und leichteren ein grösseres und schwereres, da sie nun auch der Hoffnung auf trostreichen Zuspruch beraubt waren; denn wer hätte hier, selbst des Trostes bedürftig, den andern trösten sollen? 138 Wie es nun in solcher Lage zu geschehen pflegt, hielten sie das gegenwärtige Leid nur für den Anfang noch grösseren Unglücks und begannen den Untergang auch der noch Lebenden zu fürchten. Daher liefen sie unter heissen Tränen und mit zerrissenen Gewändern in den Königspalast und schalten den König laut als den Urheber alles furchtbaren Leids, das sie betroffen. 139 Denn hätte er, so sagten sie, sofort im Anfang auf Moses’ Aufforderung das Volk ziehen lassen, so wäre ihnen überhaupt nichts von dem, was geschehen, widerfahren; dadurch dass er seinem gewohnten Hochmut nachgegeben, hätten sie den Lohn für den übel angebrachten Eigensinn sofort erhalten. Darauf redeten sie einer dem andern zu, das Volk in aller Eile aus dem ganzen Lande


  1. Das Mahlen des Getreides mit der Handmühle gehörte auch im griechischen Hause zu den Obliegenheiten der niedrigsten Sklavinnen.
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Philon: Ueber das Leben Mosis (De vita Mosis) übersetzt von Benno Badt. H. & M. Marcus, Breslau 1909, Seite 253. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloMos1GermanBadt.djvu/039&oldid=- (Version vom 1.8.2018)