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Philon: Über die Träume (De somnis) übersetzt von Maximilian Adler

genannten Art gehörende Traumbild ist das folgende, das sich auf der Himmelsleiter zeigte: 3 „Und er träumte; und siehe, eine Leiter erhob sich auf der Erde, deren Spitze bis zum Himmel reichte, und die Engel Gottes stiegen auf ihr auf und nieder; der Herr aber stand oben darauf und sprach: Ich bin der Herr[1] und Gott Abrahams, deines Vaters, und der Gott Isaaks; fürchte dich nicht! Das Land, auf dem du schläfst, dir werde ich es geben und deinem Samen, und es wird dein Same sein wie der Staub der Erde, und er wird ausgebreitet werden über das Meer und nach Süden und Norden und Osten; und es sollen gesegnet werden in dir und in deinem Samen alle Geschlechter der Erde. Und siehe, ich bin mit dir, und ich behüte dich auf deinem ganzen Wege, wohin du auch ziehest; und ich werde dich wieder zurückbringen in dieses Land, da ich dich nicht verlasse, bis ich alles getan habe, was ich zu dir geredet habe“ (1 Mos. 28, 12–15). [621 M.] 4 Es ist aber eine Vorbereitung auf die Erscheinung nötig; wenn wir sie genau kennen gelernt haben, werden wir ohne Mühe ebenso auch das durch die Erscheinung selbst Geoffenbarte verstehen können. Was ist nun die Vorbereitung? „Und Jakob zog aus“, heißt es, „von dem Brunnen des Eides und reiste gen Haran, und er begegnete einem Ort[2]; denn die Sonne ging unter; und er nahm einen von den Steinen des Ortes und legte ihn zu seinen Häupten, und er schlief ein an jenem Ort“ (ebd. 10, 11), und dann kommt sogleich der Traum. 5 Demnach muß man zunächst folgende drei Fragen aufwerfen: erstens: was ist der Brunnen des Eides und warum wurde er so genannt? zweitens: was ist Haran, und warum kommt er, wenn er von dem erwähnten Brunnen auszieht, sofort nach Haran? drittens: was für ein Ort ist das, und warum geht, sobald er dort ist, die Sonne unter, er selbst aber schläft ein?

[2] 6 Betrachten wir nun gleich das Erste. Mir scheint der Brunnen ein Symbol der Erkenntnis zu sein; denn dessen Natur ist nicht oberflächlich, sondern sehr tief. Sie liegt nicht offen zutage, sondern liebt es, sich im Verborgenen zu verstecken. Auch wird sie nicht


  1. κύριος muß hier eingesetzt werden, da §§ 159f., 166, 175 diesen Wortlaut voraussetzen.
  2. So muß ἀπήντησε hier wörtlich übersetzt werden wegen der Folgerungen, die Philo später hieraus zieht.
Empfohlene Zitierweise:
Philon: Über die Träume (De somnis) übersetzt von Maximilian Adler. H. & M. Marcus, Breslau 1938, Seite 174. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloSomnGermanAdler.djvu/12&oldid=- (Version vom 3.6.2018)