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Seite:PhiloSomnGermanAdler.djvu/33

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Philon: Über die Träume (De somnis) übersetzt von Maximilian Adler

106 Einige führen nun einen unversöhnlichen und unerbittlichen Krieg gegen das natürliche Wachsen der Sprache; sie schneiden ihre Zweige bis auf den Stamm ab, unterdrücken ihre ersten Triebe und machen sie sozusagen völlig unfruchtbar an guten Werken. 107 Wenn sie manchmal mit unbezwinglichem Drang nach Bildung strebte und von Liebe zu philosophischen Betrachtungen ergriffen wurde, fürchteten sie aus Neid und Mißgunst, sie könnte Wut schnauben, sich hoch erheben und ihre Wortklaubereien und wider die Wahrheit erfundenen Wahrscheinlichkeiten wie ein Sturzbach hinwegspülen, lenkten durch ihre Künsteleien den Lauf anderswohin und verteilten ihn auf handwerksmäßig betriebene und [637 M.] unfreie Künste. Oft auch stumpften sie die Sprache ab, verstopften ihren Fluß und ließen das edle Gewächs in trägem Zustand, so wie schlechte Vormünder verwaisten Kindern deren fruchtbares und ertragreiches Land unbebaut lassen; und die Unbarmherzigsten von allen schämten sich nicht, das einzige Gewand des Menschen zu stehlen, seine Sprache; denn es heißt: „Dies ist seine einzige Decke“ (2 Mos. 22, 27). 108 Was kann das anderes sein als die Sprache? Denn wie es zum Wesen des Pferdes gehört zu wiehern, zu dem des Hundes zu bellen, des Ochsen zu brüllen, des Löwen zu heulen, so gehört zum Wesen des Menschen das Sprechen und die Sprache als solche. Sie hat als Schutz, als Kleid, als Rüstung, als Mauer das gottgeliebteste Wesen, der Mensch, unter allen als sein Eigentum für sich erhalten. [18] 109 Deshalb fügt er auch hinzu: „Dies ist das einzige Kleid seiner Scham“ (2 Mos. 22, 27). Denn was sonst verbirgt und verhüllt so die Scham und Schande des Lebens wie die Sprache? Ist doch Unwissenheit die einem sprachlosen Geschöpf angeborene Schande, Bildung aber die Schwester der Sprache, ein geziemender Schmuck. 110 „Worin soll er sonst schlafen“, d. h.: wo soll der Mensch ruhen und sich erholen, wenn nicht in der Sprache? Denn die Sprache erleichtert unser von schwerem Geschick so niedergedrücktes Geschlecht. Wie nun den durch Leid, Furcht und andere Übel Niedergedrückten oft die Freundlichkeit, die Geselligkeit und die Geschicklichkeit von Freunden Dienste leistete, so stößt nicht nur oft, sondern immer die dem Unglück wehrende Sprache allein die schwerste Last ab, die uns die Bedürfnisse des mit uns verbundenen Körpers und die von außen hereinbrechenden unvorhergesehenen

Empfohlene Zitierweise:
Philon: Über die Träume (De somnis) übersetzt von Maximilian Adler. H. & M. Marcus, Breslau 1938, Seite 195. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloSomnGermanAdler.djvu/33&oldid=- (Version vom 7.10.2018)