Seite:Pomologische Monatshefte Heft 1 148.jpg

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wir verlangen, daß die Zustände in einer Wissenschaft und Kulturbranche, die wohl die schwierigste unter allen ist, und wo sichere und umfassendere Beobachtungen bisher kaum in Menschenaltern gewonnen werden konnten, bereits mehr vorgeschritten seyn sollten, als sie sind. Bisher ist ja Obstkunde und rationeller Obstbau immer noch, wie Diel sich einmal treffend ausdrückt, eine Waise geblieben, deren sich nur einzelne gebildete Dilettanten annahmen, die nur einen kleinen Theil ihrer Zeit ihren pomologischen Bestrebungen widmen konnten, und muß man sich oft noch wundern, welche große Anstrengungen unsere neueren Pomologen übernahmen, welche Geldopfer sie brachten, wie sie aus gar vielen und entfernten Baumschulen ihre Obstsorten bezogen, und wenn sie diese, wie so oft der Fall war, unter unrichtigem Namen erhielten, doch unermüdet immer wieder neue Forschungen anstellten, um leisten zu können, was sie geleistet haben. Wir haben eigentlich erst seit einem Menschenalter eine einigermaßen sichere Basis für unsere Obstkunde, und, wenigstens für einen beträchtlichen Theil der Obstfrüchte, eine bestimmtere Nomenclatur erhalten, wobei noch obendrein die Bestrebungen der Pomologen durch den mit jedem Jahre mehr anwachsenden Reichthum theils vermeintlich, theils wirklich sehr schätzbarer Früchte gewissermaßen überflügelt worden, so daß häufig nach wenigen Jahren nicht mehr paßte, was vorher angemessen und zutreffend gewesen war. Ueberhaupt aber, so lange Förderung eines rationellen Obstbaus nur Wunsch und Sorge einzelner Privaten oder mit wenigen Mitteln versehener und in ihrem Bestehen ungewisser Vereine bleibt, so lange nicht die Regierungen zu der Erkenntniß kommen, welches Gewicht rationeller Obstbau und Förderung einer sichern Obstkunde für Landeswohlfahrt habe, und, nachdem diese Erkenntniß klarer gewonnen ist, die nöthigen Mittel für Gründung großer pomologischer Gärten hergeben, auch hinreichend gebildete Männer vom Fach angemessen besolden, die die Obstkunde, sowie die Verbreitung des besten, richtig benannten Obstes zu ihrer eigentlichen Berufsthätigkeit machen, und die nöthige Zeit haben, um vorzüglich den allerschwierigsten Punkt, die unterscheidende Charakteristik der Obstfrüchte mehr festzustellen, werden die Fortschritte in der Obstkunde, sowie in durchgreifenderen Verbesserungen des Obstbaus immer nur sehr langsame bleiben. Die von unsern classischen Pomologen empfohlenen besten Obstsorten fangen eigentlich erst jetzt an, sich allgemeiner in die Baumschulen zu verbreiten; noch vor 30 Jahren hegte das Publikum in sehr vielen Gegenden ein Vorurtheil gegen sie, als die in unser Klima nicht recht passen mochten, weshalb die solidesten Baumschulen häufig bisher am Alten kleben blieben, und als nun nach und nach doch das Publikum bemerkte, daß die neuen Obstfrüchte häufig vorzüglicher seyen, als die bisher angebauten, wurde umgekehrt eine erwachende Sucht des Publikums nach neuen Sorten Ursache von Verwirrungen und von Mißgriffen der Inhaber großer Baumschulen, sowie von nicht gehörigem Beachten des conservativen Elements in der Pomologie. Daß wir zu der Erkenntniß der in unserer Obstkunde noch herrschenden und zur gehörigen Hebung des Obstbaus zu beseitigenden Mängel gekommen sind, ist gut; doch darf das den Muth nicht niederschlagen, beharrlich und mit Hoffnung auf Erfolg nach dem Besseren zu streben. Mögen wir nur insbesondere die auch von unserem Herrn Verfasser gegebene Mahnung bedenken, daß gegenwärtig nur die vereinten, und von Selbstsucht und Sonderinteressen freien, nur der Sache selbst gewidmeten Anstrengungen der deutschen Pomologen und Gartenbauvereine gedeihlichere Fortschritte herbeiführen können, und möchte es auch unserer Zeitschrift gelingen, zu Herbeiführung einer solchen Einigung und Richtung der verschiedenen Kräfte auf ein gemeinsames Ziel das Ihrige beizutragen! Sollen wir sagen, welchen Gang der gemeinsamen Bestrebungen wir uns als den für die nächste Zukunft richtigen denken, so wäre es der folgende: das fortgehende Sammeln neuer[WS 1] Früchte muß wohl nicht ganz aufhören, doch vorerst sehr beschränkt werden, so daß neue Früchte nur mit großer Vorsicht aufgenommen werden, wenn sich zeigt, daß sie vor anderen bekannten wirkliche Vorzüge haben. Wollen wir, wie wir es Deutsche so gerne machen, immer gleich das Ganze der überhaupt vorhandenen Früchte mit unsern Forschungen zu umfassen suchen, so wird der Stoff so übergroß, daß selbst die Kräfte von Vereinen nicht mehr hinreichen würden, ihn zu bewältigen, und wir würden, weil wir, zumal in einer der schwierigsten Wissenschaften zu viel erreichen wollten, nichts erreichen und nur immer mehr in’s Chaotische zurücksinken. Dagegen muß das kritische und sichtende, sowie das conservative Element in der Obstkunde noch sorgfältiger und allgemeiner verfolgt werden, als bisher; wir müssen noch allgemeiner und sicherer zu erforschen suchen, welche Früchte theils für ganz Deutschland

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: unserer (vgl. Anzeige von Druckfehlern)
Empfohlene Zitierweise:
Ed. Lucas, J. G. C. Oberdieck (Hrsg.): Monatsschrift für Pomologie und praktischen Obstbau I. Franz Köhler, Stuttgart 1855, Seite 148. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Pomologische_Monatshefte_Heft_1_148.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)