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und Gesundheit der Obstbäume befürchten müßten, so fragt es sich

2) ob etwa die Mängel und Krankheiten unserer Edelstämme daher kommen, daß

a) durch die Reiser Krankheiten der Mutterstämme, von denen man sie nimmt, fortgepflanzt und vervielfältigt werden, oder man

b) durch sie wohl gar Sorten vermehrt, die die Periode ihrer Lebensdauer schon ausgelebt haben.

Da müssen wir denn ad. a) allerdings gestehen, daß mit dem Edelreise Krankheiten und Untugenden des Mutterstammes, die permanent sind, und nicht etwa von lokalen oder temporellen Ursachen herrühren,[1] als leichtes Abfallen der Früchte, Neigung zu Krebs, geringe Tragbarkeit etc. fortgepflanzt werden.

Durch die Veredlung wird das Individuum mit allen seinen permanenten Eigenheiten vervielfältigt; im Samen aber liegt ein Gesetz der Veränderung, und auf ihn gehen nicht alle Eigenheiten des Stammes, der ihn erzeugte, über. Aber wenn man meint, daß durch den Samen gar keine Krankheiten des Mutterstammes fortgepflanzt würden, und die Kernsaat lauter kerngesunde Pflänzlinge liefern müsse, so ist das falsch, und bei jenem wie bei diesem daher Auswahl und Vorsicht nöthig. Krankheiten und Fehler der Eltern gehen im Thierreiche, wie im Pflanzenreiche auf die Nachkommenschaft gar nicht selten über, und so liefern Kerne von klein bleibenden Obstsorten, wenn nicht eine fremde Bestäubung ihre Natur verändert hat, wieder kleine, nicht lange lebende Sämlinge; Kerne von wenig tragenden Sorten, wenn die geringe Tragbarkeit Naturfehler war, und nicht in lokalen Umständen lag, werden wenig fruchtbare Wildlinge geben etc.; sowie auch, so viel ich bemerkt habe, die Disposition zu Krebs durch den Samen leicht sich forterbt. Ich habe in Bardowick, wo ich die verschiedenen, zur Anzucht von Wildlingen gelegten Kerne immer jede Sorte separat säete, und genau bezeichnete, mehrmals Kerne von dem dort sogenannten Klusterapfel gelegt (dem Kleinen Herrnapfel ähnlich) dessen Baum, obwohl andere Bäume an Krebs in meinem höher gelegenen Garten daselbst nicht litten, häufig Krebs in den Zweigen hatte, die dadurch einzeln abstarben, und hatten nachher die heranwachsenden Sämlinge theilweise dieselbe Krankheit schon im 2ten Jahre, und mußten fortgeschafft werden; bei Sämlingen von Calville blanc, Goldpepping etc. war es ähnlich. Wie wir daher bei der Aussaat vorsichtig seyn müssen, und nur Kerne von gesunden Früchten und Stämmen nehmen werden, so hindert nichts, dieselbe Vorsicht beim Veredeln zu gebrauchen, und Reiser von ungesunden Stämmen und fehlerhaften Sorten ganz zu meiden. Vielleicht kann auch bei an sich schätzbaren Sorten durch gute Behandlung, passenden Boden und besonders, durch gesunde Unterstämme, manche entstandene Krankheit wieder

gehoben werden. So ist z. B. gegen


  1. So habe ich nicht gefunden, daß, als ich einmal zum Fortpflanzen der Muskatreinette nicht gleich andere Reiser hatte, als von einem, an Krebs ganz zu Grunde gehenden, früher kräftigen Baume in meinem Garten in der Stadt Nienburg, die damit veredelten Wildlinge in dem Boden der Baumschule vor der Stadt, wo Krebs sehr selten war, bei ihrem Heranwachsen die geringste Spur von Krebs gezeigt hätten, da sie vielmehr gesund wuchsen. Das Reis hat in diesem Falle nur die leichtere Disposition zu dieser Krankheit vererbt, wenn die Stämme wieder in krebssüchtigen Boden kommen würden.
Empfohlene Zitierweise:
Ed. Lucas, J. G. C. Oberdieck (Hrsg.): Monatsschrift für Pomologie und praktischen Obstbau I. Franz Köhler, Stuttgart 1855, Seite 319. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Pomologische_Monatshefte_Heft_1_319.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)