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„Das hat einen anderen Grund, meine liebe Betsy, einen ganz anderen,“ entgegnete er ernst, ihre Stirn küssend.

Das Mädchen dämpfte ihre Stimme und flüsterte bittend, beinahe flehentlich:

„Sei heute gut zu ihm, er ist krank, gereizt, er hat so auf dich gewartet, er wird gewiß ärgerlich sein.“

„Es ist gut, Kind, ich werde selbst nicht anfangen, aber …“ brach er bekümmert ab.

„Tante Dolly ist auch ohne Humor, sie weinte nachmittags, sie meinte, heute wäre irgendein trauriger Jahrestag,“ bereitete Betsy schüchtern vor.

„Gewiß der fünfzigste Jahrestag ihres Bruchs mit dem fünfzehnten Bräutigam,“ bemerkte Yoe boshaft, während er seinen Mantel aufhängte, doch als er sich umwandte, waren die beiden nicht mehr am früheren Platze; Betsy geleitete Zenon etwas tiefer in den Flur hinein, zu der Stiege, die zum ersten Stockwerk führte, und bat ihn ganz leise, aufzupassen und, wenn möglich, keinen Streit zwischen Yoe und dem Vater zuzulassen. Er versprach es feierlich, doch er empfand eine Art Unwillen bei dem Gedanken, er könnte Zeuge eines neuen Skandals sein, – er hatte entschieden genug davon für heute, er selbst war zudem ungewöhnlich nervös und hatte, als er hierher fuhr, gedacht, er würde Ruhe und Erholung finden.

„Du armes Opferlamm, hat denn auch Tante Ellen heute Hühneraugenschmerzen?“

„Still, Yoe, verspotte ihr Leiden nicht, wir wollen gehen, denn sie warten schon.“

Das Speisezimmer war unten, davor lag ein großes,

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Władysław Reymont: Der Vampir. Albert Langen, München 1914, Seite 65. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Reymont_-_Der_Vampir.djvu/065&oldid=- (Version vom 1.8.2018)