Seite:Reymont - Der Vampir.djvu/145

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„In Italien?“ fragte Daisy und setzte sich neben ihn.

„Ja, in Amalfi, hinter Neapel.“ Er begann mit Begeisterung die Wunder der sonnigen Tage zu schildern, die Wunder des azurfarbenen Meeres, die Zitronenhaine, die Berge, die vom Äther umflossen in die Ewigkeit schauen; die Fernen voll Lieblichkeit, wo durch die Tiefen des heiteren Himmels und des Meeres rote Segel dahingleiten, wie Flügel unbekannter Vögel; die Inselchen, durchsichtigen Smaragden vergleichbar; die Buchten inmitten grüner, bemooster, epheuumrankter Felsen, als wären sie in einen einzigen riesigen Türkis gemeißelt; alte, tote Türme, voll grüner Eidechsen und schneeweißer Möwen; das stille, holde Leben dieser weltvergessenen Gestade, wo nicht einmal der Tod schrecklich ist, denn er kommt wie die Abenddämmerung und schließt die glanzgeblendeten Augen zu süßem Traume, in einem Land, wo es keine Fabriken gibt, keine lärmenden Städte, kein Chaos der Menschen, die sich gegenseitig um jeden Bissen auffressen, – nein, ein Land, wo man die ganze Wonne des Daseins auskostet … wo in den Herzen noch die guten Gottheiten Griechenlands gemeinsam mit der Madonna herrschen, die immer über dem Lose der Menschen wacht.

Er sprach lange, er strahlte, er ließ sich von seiner Begeisterung hinreißen, als hätte ihn eine plötzliche Sehnsucht ergriffen, so daß Rührung in seiner Stimme mitklang und Tränen in seinen Augen erglänzten.

Sie unterbrachen ihn nicht, sie vertieften sich in diese süße Vision, und Daisy, die den schwarzen Kopf des Panthers streichelte, schaute ihn an und sah

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Władysław Reymont: Der Vampir. Albert Langen, München 1914, Seite 145. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Reymont_-_Der_Vampir.djvu/145&oldid=- (Version vom 1.8.2018)