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Text von Wilhelm Tappert: Richard-Wagner-Galerie

XVI.
HANS SACHS IN DER WERKSTATT.


„Und bin in Ruh’
Hans Sachs ein Schuh-
macher und Poet dazu“.


Nach dem fröhlichen Polterabend, an welchem der hochmüthige Schreiber Sixt Beckmesser zu Falle kam und der wackere Hans Sachs die Entführung Evchens durch Walther von Stolzing glücklicher Weise vereitelte – sitzt unser Poet am Fenster seiner Werkstätte. Die Morgensonne des Johannistages scheint hell in das trauliche Heim. Er hält vor sich auf dem Schoose einen grossmächtigen Folianten, und ist im Lesen, Denken und Sinniren so vertieft, dass er nicht einmal die Bekenntnisse seines etwas schuldbewussten, neue Schläge fürchtenden Lehrlings David hört. Ein frisches Lied ist ihm heute schon geglückt und steht noch nass auf dem Papier. Jetzt müht er sich vergeblich


den Grund aufzufinden,
warum gar bis auf’s Blut
die Leut sich quälen und schinden
in unnütz toller Wuth!
Hat keiner Lohn
noch Dank davon:
in Flucht geschlagen,
meint er zu jagen;
hört nicht sein eigen
Schmerz-Gekreisen,
wenn er sich wühlt in’s eigene Fleisch,
wähnt Lust sich zu erzeigen
Wer gibt den Namen an?
’s bleibt halt der alte Wahn,
ohn’ den nichts mag geschehen,
’s mag gehen oder stehen:
steht’s wo im Lauf,
er schläft nur neue Kraft sich an;
gleich wacht er auf,
dann schaut wer ihn bemeistern kann! –

Empfohlene Zitierweise:
Text von Wilhelm Tappert: Richard-Wagner-Galerie. Hanfstaengl’s Nachfolger, Berlin 1876, Seite 99. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Richard-Wagner-Galerie.pdf/108&oldid=- (Version vom 1.8.2018)