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10. Kapitel: Sedrachs Bitte um Aufschub
1
Und Sedrach sprach zu Gott:

Woraus willst du denn meine Seele nehmen,
aus welchem Glied?

2
Da sagte Gott zu ihm:

Weißt du denn nicht,
daß sie inmitten deiner Lungen und des Herzens wirkt,
daß sie in alle deine Glieder ist verteilt.

3
Sie wird durch Speiseröhre, Schlund und Mund heraufgeholt

und in der Stunde ihres Abscheidens
wird sie dann von den Nagelspitzen,
sowie von allen Gliedern her zusammengezogen und gesammelt.

4
Dann gibt es eine große Not,

wenn sie vom Körper und vom Herz sich trennen soll.

5
Es hörte Sedrach alle diese Worte;

da fiel ihm ein Gedanke ein,
und ihm entschwand darüber die Erinnerung an den Tod.

6
Und Sedrach sprach zu Gott:

Herr! Laß ein wenig ab von mir,
damit ich weinen kann!
Ich hörte ja, daß Tränen viel vermögen,
und daß sie viel Erleichterung
dem armen Leibe des Geschöpfes bringen.


11. Kapitel: Sedrachs Abschied von seinem Leib
1
Und er begann zu weinen und zu klagen:

O wunderbares Haupt!
Du himmlischer Gebieter!
Du Sonnenhellster an dem Himmel und auf Erden!

2
Dem Adler gleicht dein Haar

und deine Augen Traubenbeeren;
dein Rufen gleicht dem Donner
und deine Zunge der Trompete.

3
Dein Hirn ist eine kleine Welt;

das Haupt bewegt den ganzen Körper.

4
Du Liebenswürdigster!

Du Schönster, Allbeliebter!
Doch kaum erscheint er in der Welt,
so wird er unverständlich.

5
Ihr Hände, wohl geformt,

und leicht belehrbar,
die ihr euch abgemüht,
um euren Körper zu ernähren!

6
Ihr Hände, so gut treffend,

die ihr von allem sammelt
und Häuser bauet!

7
Ihr Finger, schön geschmückt