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DEMETRIUS.
(Demetrius.)


Politisches Talent, durchdringender Scharfblick für alle grossen staatlichen Verhältnisse, für das Leben der Völker im ganzen und die charakteristischen Züge in dem der einzelnen Nationen sind die merkwürdigsten Eigenschaften des Schiller’schen Genius. Er zeigt überall in seinen Dichtungen eine bei der Einfachheit und Zurückgezogenheit seiner äussern Existenz fast unbegreifliche Divinationsgabe für die Gesetze des Organismus, für das Naturell der einzelnen Volksindividuen, sodass man es kaum für möglich halten sollte, dass die sämmtlichen unmittelbaren Anschauungen dieses Geistes sich nur zwischen Stuttgart und Weimar hin- und herbewegen. Diese Erscheinung wird uns nur dadurch einigermassen begreiflich, dass zwischen 1792 und 1805 so ziemlich sämmtliche Völkerschaften Europas durch diesen Kreis vom Schicksal durchgetrieben wurden. Der unaufhörliche Kampf seiner Zeit spiegelt sich viel mächtiger in den entschlossenen Zügen der Schiller’schen Muse in ihrem flammenden Auge, als man gewöhnlich zugeben will; der Pulverrauch zieht nicht nur durch den ganzen „Wallenstein“, auch in der „Jungfrau von Orleans“ und im „Tell“ hören wir überall den geharnischten Schritt des Zeitgeistes, das Klirren seiner blutigen Waffen heraus.

Nirgends aber finden wir jene speciell unter uns Deutschen so seltene Gabe des Verständnisses politischer Zustände glänzender bethätigt, als in dem Fragmente des „Demetrius“. Die Schilderung des Reichstags, die das Stück eröffnet, ist unübertrefflich, man glaubt diese polnische Wirthschaft leibhaftig vor sich zu sehen, jene leichtsinnige

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Friedrich Pecht: Schiller-Galerie. F. A. Brockhaus, Leipzig 1859, Seite 377. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schiller-Galerie.pdf/402&oldid=- (Version vom 1.8.2018)