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Tagen hervor, als er wieder ausgehen und sie besuchen konnte. Er verlangte nichts weniger, als daß sie sich ihm ganz ergeben, ihre übrigen Freunde und Bekannte verabschieden, das Theater verlassen, und ganz allein mit ihm und für ihn leben sollte. Sie zeigte ihm die Unmöglichkeit seine Forderungen zu bewilligen, erst auf eine scherzhafte, dann auf eine ernsthafte Weise und war leider endlich genöthigt ihm die traurige Wahrheit, daß ihr Verhältniß gänzlich vernichtet sey, zu gestehen. Er verließ sie um sie nicht wieder zu sehen.

Er lebte noch einige Jahre in einem sehr eingeschränkten Kreise, oder vielmehr blos in der Gesellschaft einer alten frommen Dame, die mit ihm in einem Hause wohnte, und sich von wenigen Renten erhielt. In dieser Zeit gewann er den einen Prozeß und bald darauf den andern; allein seine Gesundheit war untergraben und das Glück seines Lebens war verloren. Bey einem geringen Anlaß fiel er abermals in eine schwere Krankheit; der Arzt kündigte ihm den Tod an. Er vernahm sein Urtheil ohne Widerwillen, nur wünschte er seine schöne Freundin noch Einmal zu sehen. Er schickte seinen Bedienten zu ihr, der sonst in glücklichern Zeiten manche günstige Antwort gebracht hatte. Er ließ sie bitten, sie schlug es ab. Er schikte zum zweytenmal und ließ sie beschwören; sie beharrte auf ihrem Sinne. Endlich, es war schon tief in der Nacht, sendete er zum drittenmal; sie ward bewegt und vertraute mir ihre Verlegenheit, denn ich war eben mit dem Markese und einigen andern Freunden bey ihr zum Abendessen. Ich rieth ihr und bat sie dem Freunde den letzten Liebesdienst zu erzeigen; sie schien unentschlossen, aber nach einigem Nachdenken nahm sie sich zusammen. Sie

Empfohlene Zitierweise:
Johann Wolfgang von Goethe: Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten. In: Die Horen 1795, Band 1–4. Cotta, Tübingen 1795, Seite 2-8. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schiller_Die_Horen_1-1795.pdf/124&oldid=- (Version vom 1.8.2018)