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genießest diese Schätze nicht, und niemand wird sie nach dir genießen! Hast du jemals eine geliebte Frau damit geschmückt? hast du eine Tochter damit ausgestattet? hast du einen Sohn in den Stand gesetzt, sich die Neigung eines guten Mädchens zu gewinnen und zu befestigen? Niemals! Von allen deinen Besitzthümern hast du, hat niemand der Deinigen etwas besessen, und was du mühsam zusammengebracht hast, wird nach deinem Tode ein Fremder leichtfertig verprassen.

O wie anders werden heute Abend jene glückliche Eltern ihre Kinder um den Tisch versammlen, ihre Geschicklichkeit preißen, und sie zu guten Thaten aufmuntern! Welche Lust glänzte aus ihren Augen, und welche Hoffnung schien aus dem Gegenwärtigen zu entspringen. Solltest du denn aber selbst gar keine Hoffnung fassen können? Bist du denn schon ein Greis? ist es nicht genug, die Versäumniß einzusehen, jetzt, da noch nicht aller Tage Abend gekommen ist. Nein in deinem Alter ist es noch nicht thörigt, ans Freyen zu denken, mit deinen Gütern wirst du ein braves Weib erwerben und glücklich machen, und siehst du noch Kinder in deinem Hause, so werden dir diese späten Früchte den größten Genuß geben, anstatt daß sie oft denen, die sie zu früh vom Himmel erhalten, zur Last werden und zur Verwirrung gereichen.

Als er durch dieses Selbstgespräch seinen Vorsatz bey sich befestigt hatte, rief er zwey Schiffsgesellen zu sich und eröffnete ihnen seine Gedanken. Sie, die gewohnt waren, in allen Fällen willig und bereit zu seyn, fehlten auch dießmal nicht, und eilten, sich in der Stadt nach den jüngsten und schönsten Mädchen zu erkundigen, denn ihr

Empfohlene Zitierweise:
Johann Wolfgang von Goethe: Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten. In: Die Horen 1795, Band 1–4. Cotta, Tübingen 1795, Seite 4-45. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schiller_Die_Horen_2-1795.pdf/53&oldid=- (Version vom 1.8.2018)