Seite:Schiller Die Horen 2-1795.pdf/55

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die wir früh genommen, kann wohl einige Zeit abgelenkt, aber nie ganz unterbrochen werden.

So hatte auch unser Handelsmann oft, wenn er andere sich einschiffen oder glücklich in den Hafen zurückkehren sah, wieder die Regungen seiner alten Leidenschaft gefühlt, ja er hatte selbst in seinem Hause, an der Seite seiner Gattin, manchmal Unruhe und Unzufriedenheit empfunden. Dieses Verlangen vermehrte sich mit der Zeit und verwandelte sich zuletzt in eine solche Sehnsucht, daß er sich äußerst unglücklich fühlen mußte, und er zuletzt wirklich krank ward.

Was soll nun aus dir werden? sagte er zu sich selbst, du erfährst nun wir thörigt es ist in späten Jahren eine alte Lebensweise gegen eine neue vertauschen zu wollen. Wie sollen wir das, was wir immer getrieben und gesucht haben, aus unsern Gedanken, ja aus unsern Gliedern wieder heraus bringen, und wie geht es mir nun? der ich bisher wie ein Fisch das Wasser, wie ein Vogel die freye Luft geliebt, da ich mich in einem Gebäude bey allen Schätzen und bey der Blume aller Reichthümer, bey einer schönen jungen Frau eingesperrt habe? Anstatt daß ich dadurch hoffte Zufriedenheit zu gewinnen und meiner Güter zu genießen, so scheint es mir daß ich alles verliere, indem ich nichts weiter erwerbe. Mit Unrecht hält man die Menschen für Thoren, welche in rastloser Thätigkeit Güter auf Güter zu häufen suchen; denn die Thätigkeit ist das Glück, und für den der die Freuden eines ununterbrochnen Bestrebens empfinden kann, ist der erworbene Reichthum ohne Bedeutung. Aus Mangel von Beschäftigung werde ich elend, aus Mangel von Bewegung krank,

Empfohlene Zitierweise:
Johann Wolfgang von Goethe: Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten. In: Die Horen 1795, Band 1–4. Cotta, Tübingen 1795, Seite 4-47. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schiller_Die_Horen_2-1795.pdf/55&oldid=- (Version vom 1.8.2018)