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sey; weil sie aber zweifelhaft war, ob dieses Licht lange dauern könne, so trieb sie die Neugierde und der Wunsch sich für die Zukunft sicher zu stellen aus dem Felsen heraus, um zu untersuchen, wer das schöne Gold herein gestreut haben könnte. Sie fand niemanden; desto angenehmer war es ihr, sich selbst, da sie zwischen Kräutern und Gesträuchen hinkroch, und ihr anmuthiges Licht, das sie durch das frische Grün verbreitete, zu bewundern. Alle Blätter schienen von Smaragd, alle Blumen auf das herrlichste verklärt; vergebens durchstrich sie die einsame Wildniß, desto mehr aber wuchs ihre Hoffnung, als sie auf die Fläche kam und von weiten einen Glanz der dem ihrigen ähnlich war, erblickte. Find ich doch endlich meines Gleichen! rief sie aus und eilte nach der Gegend zu. Sie achtete nicht die Beschwerlichkeit durch Sumpf und Rohr zu kriechen; denn ob sie gleich auf trockenen Bergwiesen, in hohen Felsritzen am liebsten lebte, gewürzhafte Kräuter gerne genoß und mit zartem Thau und frischem Quellwasser ihren Durst gewöhnlich stillte; so hätte sie doch des lieben Goldes willen und in Hoffnung des herrlichen Lichtes alles unternommen was man ihr auferlegte.

Sehr ermüdet gelangte sie endlich zu einem feuchten Ried, wo unsere beyden Irrlichter hin und wieder spielten. Sie schoß auf sie loß, begrüßte sie, und freute sich so angenehme Herren von ihrer Verwandtschafft zu finden. Die Lichter strichen an ihr her, hüpften über sie weg und lachten nach ihrer Weise. Frau Muhme, sagten sie, wenn Sie schon von der horizontalen Linie sind, so hat das doch nichts zu bedeuten; freylich sind wir nur von Seiten des Scheins verwandt, denn sehen Sie nur

Empfohlene Zitierweise:
Johann Wolfgang von Goethe: Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten. In: Die Horen 1795, Band 1–4. Cotta, Tübingen 1795, Seite 10-111. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schiller_Die_Horen_4-1795.pdf/119&oldid=- (Version vom 1.8.2018)