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wellenartig dem Wasser zu nähern anfing. Die Schlange bewegte sich bald darauf ans Land, der Korb setzte sich zur Erde nieder und die Schlange zog aufs neue ihren Creiß umher, der Alte neigte sich vor ihr und sprach: was hast du beschlossen?

Mich aufzuopfern, ehe ich aufgeopfert werde, versetzte die Schlange, versprich mir daß du keinen Stein am Lande lassen willst.

Der Alte versprachs und sagte darauf zur schönen Lilie: rühre die Schlange mit der linken Hand an und deinen Geliebten mit der rechten. Lilie kniete nieder und berührte die Schlange und den Leichnam. Im Augenblick schien dieser in das Leben überzugehn, er befügte sich im Korbe ja er richtete sich in die Höhe und saß, Lilie wollt ihn umarmen, allein der Alte hielt sie zurück, er half dagegen dem Jüngling aufstehn und leitete ihn, indem er aus dem Korbe und dem Creiße trat.

Der Jüngling stand, der Canarienvogel flatterte auf seiner Schulter, es war wieder Leben in beyden, aber der Geist war noch nicht zurücke gekehrt; der schöne Freund hatte die Augen offen und sah nicht, wenigstens schien er alles ohne Theilnehmung anzusehn und kaum hatte sich die Verwunderung über diese Begebenheit einigermassen gemäßigt als man erst bemerkte, wie sonderbar die Schlange sich verändert hatte. Ihr schöner schlanker Körper war in tausend und tausend leuchtende Edelsteine zerfallen, unvorsichtig hatte die Alte, die nach ihrem Korbe greifen wollte, an sie gestoßen und man sah nichts mehr von der Bildung der Schlange, nur ein schöner Creiß leuchtender Edelsteine lag im Grase.

Empfohlene Zitierweise:
Johann Wolfgang von Goethe: Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten. In: Die Horen 1795, Band 1–4. Cotta, Tübingen 1795, Seite 10-140. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schiller_Die_Horen_4-1795.pdf/148&oldid=- (Version vom 1.8.2018)