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Urtheile gekommen ist: die Bibel sei so ziemlich ausgebeutet; man könne nur noch Wiederholungen und zwar ungenügende liefern, zumal da die religiöse Bedeutung der Kunst vor der Bildung der modernen Gegenwart, ungeachtet der einseitigen Richtung einzelner bedeutender Künstler, verloren und der reine Glaube verschwunden sei, der zur Schöpfung eines biblischen Gemäldes reinsten und höchsten Styles als unerläßlich bezeichnet wird.

So viel steht fest, was ein Rafael, ein da Vinci, ein Michel Angelo, Tizian u. s. w. an biblischen Stoffen unter den Pinsel genommen und in unerreichbarer Weise auf die Leinwand oder die Fresco-Mauer fesselte, das ist gemalt.

Aber die Bibel besitzt einen unsäglichen Reichthum, wie bemerkt. Das alte Testament rollt in seiner erhabenen, monumentalen Sprache Hunderte und aber Hunderte von Jahren der Geschichte eines Volkes auf, um welche der ganze Glanz, die ganze Glut des fernen Orientes weht. Diese Zeilen sind eine wahre Kabbala, nur dem Dichter lösbar und verständlich, möge die Form des Ausdruckes seines Innern das Wort oder die in Lebensfrische und Farbe vor uns tretende Zeichnung sein.

Bendemann hat es neuerlich bewiesen, daß es nur der genialen Auffassung bedarf, um aus einer Zeile des heiligen Textes das längst erloschene damalige Leben in seiner ganzen inhaltreichen Breite uns vor Augen zu stellen. „An den Gewässern zu Babylon saßen wir und weinten; Unsere Harfen hingen wir auf an den Weiden“ u. s. w. Das klingt fast gewöhnlich. Aber die Geschichte, die furchtbaren Leiden eines als Sklaven gefesselten, stolzen, gotterwählten Volkes, aus grauestem mythenhaften Alterthume seinen Ursprung herleitend, diese Geschichte erscheint ernst und geheimnißvoll und hebt auf ihren Riesenschultern die einfachen Worte zu einer Höhe der Bedeutung, daß uns, während wir sie sprechen, ein heiliger Schauer durchläuft. So las sie Bendemann und seine „trauernden Juden von Babylon“ wurden geschaffen. Sein „Jeremias“ ist von noch intensiverer Wirkung; in dem Prophetenantlitze mußte man individuell verkörpert die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft dieses ganzen Volkes erblicken und lesen. Das geöffnete, sehende Auge des Künstlers schlage die Seiten des ehrwürdigen Buches auf, und schwerlich wird er lange blättern, und eine inhaltreiche Composition wird vor ihm aufgehen.

Ein Lieblingsstoff für Bildhauer und Künstler war von je die Geschichte Davids, des Königs der Juden. Voller, lebendiger ist wohl selten, außer im Homer, ein Unsterblicher der ältesten Vorzeit geschildert worden, als dies in der Bibel beim David geschieht. Alle Fälle wechselnder Romantik im Leben eines an den Anfängen der Cultur stehenden, orientalischen Volkes ist glänzend auf seinem Haupte concentrirt. David ist nicht nur der wiedererstandene jüdische Herkules, der Samson mit seiner rohen Kraft; er ist zugleich Träger der Intelligenz einer zu staatlichem und Cultur-Leben erwachenden Nation. Dieser „Knabe“, dieser „Jüngling, bräunlich und schön“, läßt an unwiderstehlichem Reize, an wahrhafter Löwenkraft, an Ritterlichkeit, Tapferkeit und unergründlicher List, an Größe des Genies, als Dichter und Feldherr sich nur mit sich selbst vergleichen. Die Poesie, welche den späteren Psalmisten, den Meister auf der Harfe, durch alle Höhen des Himmels trug, zeigt sich, naturwüchsig und romantisch, mit kühnsten Zügen gezeichnet, in dem Jugendleben des siebenten Sohnes vom Isai. Ist es hiernach zu verwundern, daß das Mittelalter bis in’s achtzehnte Jahrhundert herab in Gemälden, in zahllosen steinernen Basreliefs und anderen Sculpturen, wie sie heute noch die aus jener Zeit stammenden

Empfohlene Zitierweise:
Text von Adolph Görling: Stahlstich-Sammlung der vorzüglichsten Gemälde der Dresdener Gallerie. Verlag der Englischen Kunst-Anstalt von A. H. Payne, Leipzig und Dresden 1848−1851, Seite 160. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Stahlstich-Sammlung_der_vorz%C3%BCglichsten_Gem%C3%A4lde_der_Dresdener_Gallerie.pdf/177&oldid=- (Version vom 1.8.2018)