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von Engeln geleitete Mutter des Himmelskönigs auf der lastbaren Eselin sitzend, vom treuen Joseph geführt, auf ihrer Reise nach dem Lande der wunderbaren Weisheit des Alterthums begleiteten. Den Schatten des herrlichen, dunklen Waldes, den Strom des lebendigen Wassers, den Felsen, welcher, der Ewigkeit trotzend, sich majestätisch, vom Sonnenlichte verklärt, erhebt, deuten zu wollen, würde eine Versündigung an dem Meister sein; denn das hieße nichts Anderes, als diese freie poetische Schöpfung in eine gebundene Symbolik zu übersetzen, wie wenn man aus den Wendungen und Uebergängen, aus dem Wechsel und der Zusammenstellung der Tonformen eines entzückenden Musikstückes den Gedanken herausfinden, die Wirkung zu erklären streben wollte, warum uns das Ganze eben so und nicht anders bewegt, wie es uns bewegt.

Wie aus dieser Auffassung von Lorrains Landschaften hervorgeht, so ist die Staffage in ihnen nebensächlich und dient meistens nur dazu, die eigentliche Seele des Bildes in einem bestimmt erkennbaren Zuge anzudeuten. Reizend, fast märchenhaft zeigt sich der Kern dieses Bildes, die Madonna mit dem Kinde, vom schirmenden Boten des Himmels geführt, im tiefen Dunkel des verschlungenen Waldpfades. Vor der Pracht der Landschaft könnte man diese heimliche Gruppe, die sich verbirgt, wie der Stern der Welt einst den bethlehemitischen Kindesmördern verborgen wurde, fast übersehen. Und doch wird die Landschaft erst vollständig, das Bewußtsein ihrer magischen Gewalt geht dem Beschauer erst dann völlig auf, wenn dieser Schlüssel, dieser Centralpunkt gefunden ist.

Die Mittel Lorrains sind ungeheuer groß. Lebenswarmer, kräftiger, duftiger als diese mit vollendeter Meisterschaft verschmolzenen und abgestuften Farbentöne Lorrains ist die Natur in den einzelnen Zügen, die der Maler harmonisch zusammenfaßt, selbst nicht. Eine transparente Leichtigkeit der Farbengebung dient dazu, Lorrains anmuthige Umrisse mit einer Eleganz zu umkleiden, die nicht weniger selten ist, als der dichterische Werth seiner landschaftlichen Schöpfungen.

Die Flucht nach Aegypten ist eine von Claude Lorrains Perlen. Nicht minder berühmt ist das Seestück mit Acis und Galathea, welches die Dresdener Gallerie bewahrt. Eine große Anzahl von Lorrains schönsten Blldern befinden sich in England theils im Besitze der Nation, theils von verschiedenen Großen. Seine größten Meisterwerke, die vier Tageszeiten, dem Kurfürsten von Hessen, dann der Kaiserin der Franzosen, Josephine, angehörend, befinden sich jetzt in der kaiserlichen Eremitage in Petersburg.




Satyre und Nymphen.
Von P. P. Rubens.

Die geschlossene Individualität der griechischen Götter und Halbgötter, sowie ihres Gefolges, des eigenthümlichen Mischgeschlechtes, welches zwischen Thier, Mensch und Halbgott spielt; oder die in der Form gesättigte, durch ihren vollkommensten Ausdruck zur Ruhe gelangte Idee

Empfohlene Zitierweise:
Text von Adolph Görling: Stahlstich-Sammlung der vorzüglichsten Gemälde der Dresdener Gallerie. Verlag der Englischen Kunst-Anstalt von A. H. Payne, Leipzig und Dresden 1848−1851, Seite 267. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Stahlstich-Sammlung_der_vorz%C3%BCglichsten_Gem%C3%A4lde_der_Dresdener_Gallerie.pdf/284&oldid=- (Version vom 1.8.2018)