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zu werfen. Durch diesen untergeordneten Contrast ward jedoch, wie Pordenone vor Tizians Gemälde selbst aussprach, der Gefühlseinklang gestört, der in den Köpfen der beiden Figuren das Merkziel des Malers gewesen war.

Tizians Gemälde stellte den künstlerischen Contrast in einer solchen blitzähnlich wirkenden Vollendung auf, wie er selten in der Malerei erreicht wurde. Der heuchlerische, perfide, seiner Schlauheit sich bewußte Pharisäer, in jeder Faser seiner Gestalt die Gemeinheit repräsentirend und dennoch nicht häßlich und ekelhaft, diente dem Tizianschen Christo als eine Art von düsterer Folie zur Entfaltung seiner vergeistigten, gedankenvollen Schönheit. Wie Tizian ein ganzer Italiener war, so war auch sein Christus ein italischer, den römischen Typus tragender. Die hervorstechenden Züge des rein italischen Volksstammes, allerdings der Wirklichkeit angehörend, waren aber mit solcher Zartheit gemildert, daß sie in solcher Vollendung sicherlich nie einem Sterblichen angehörten. Die unfehlbare Macht der ewigen Weisheit strahlte in sonnenheller, ruhiger Klarheit aus den Augen des Lehrers der Menschheit, und der Mund Christi, bei Pordenone fast eine geistige Beschränktheit andeutend, war hier wahrhaft „die goldene Pforte für die unvergänglichen Worte des ewigen Lebens“. Auch hier war Liebe, selbst diesem bübischen Versucher gegenüber, welcher den unwandelbar Wahren als Empörer den Löwengruben und der blutigen Arena Roms zuzuführen gedachte; fast möchten wir diese Liebe, in dem Christuskopfe ausgedrückt, aber keine gefühl-, sondern eine gedankengeborene nennen. Und weil die Majestät des Geistes klar und feierlich aus diesem Christusbilde spricht, ist dasselbe mit einem „reizenden und doch unnahbaren Ernste“ umkleidet, den wir, im Vereine mit dem vollen Leben desselben, geradezu unvergleichlich nennen.

Pordenone’s Colorit, kräftig und wahr, ward aber machtlos und schal neben dem Farbenzauber des Tizian’schen Gemäldes. Auch hier dieser Contrast: das lederfarbene Gesicht des triefäugigen Pharisäers, die sonnenverbrannte Faust und der Arm mit der verschrumpften Haut und den Adern wie Hanfstricke neben dem blüthenzarten Antlitz Christi und seiner von den Kennern fast vergötterten Hand, in welcher man den lebenswarmen Pulsschlag des unter der sammetweichen Haut wallenden Bluts sehen zu können glaubt.

Tizian hatte gesiegt, glänzend gesiegt. Venedig bezeugte es, als der ehrwürdige Rathsherr Domenico Foscari die ihm zu diesem Zwecke von dem Senate übergebenen Gemälde voll gerechten Stolzes in seinen Sälen öffentlich ausstellte. Pordenone ward, so resignirt er früher gewesen war, schwermüthig und düster, als die den Tizian bewundernden Kritiker an seinem Gemälde immer neue Aussetzungen machten, ihm namentlich die Zeichnung der Hand Christi gegenüber der berühmten Hand, welche sein Nebenbuhler malte, zum Vorwurfe machten und hinzufügten, Pordenone besitze außerdem nicht Varietà del colore.

Seine künstlerische, ausgezeichnete Begabung richtete ihn wieder auf und bewahrte ihn vor dem tragischen Ende, das mehr als ein Künstler aus gekränktem Stolze sich bereitete. Giovanni fing wieder an, die Elemente seiner Kunst, namentlich der Farbengebung und zwar nach Tizian’schen Werken zu studiren, und er erlangte, was er zu erreichen fähig gewesen. Sein Colorit wetteiferte bald an Schönheit mit demjenigen seines großen Freundes, sein Styl ward größer, schwungreicher, und der Name Giovanni Antonio Pordenone hatte nicht mehr durch Anmaßung,

Empfohlene Zitierweise:
Text von Adolph Görling: Stahlstich-Sammlung der vorzüglichsten Gemälde der Dresdener Gallerie. Verlag der Englischen Kunst-Anstalt von A. H. Payne, Leipzig und Dresden 1848−1851, Seite 312. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Stahlstich-Sammlung_der_vorz%C3%BCglichsten_Gem%C3%A4lde_der_Dresdener_Gallerie.pdf/329&oldid=- (Version vom 1.8.2018)