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Guardian eines benachbarten Klosters, der Diana in seinem Leben nie gesehen hatte, hatte dieser Gottlosen, die nie eine Kirche besuchte, den Titel: die Reiterin von der erbärmlichen Gestalt, gegeben.

So hatte Diana noch nie geweint als an diesem Abende. Jetzt erst sah sie ihre Armuth ein und glaubte zu fühlen, daß ihr bisheriges Leben schrecklich, elend, bedauernswerth und ihre jugendliche Lust an der Natur und dem frischen Waidwerke ein ganz unzureichender Ersatz für die zarten Vergnügungen sei, die andern jungen Edeldamen an den Höfen der Fürsten und in den reichen, prächtigen Städten Belgiens bereitet wurden. Diana war gebildet, fast hätte man sie, die mit ihrem alten Großvater fertig Latein zu reden verstanden, gelehrt nennen können. Der verstorbene Boprès besaß viele und gute Bücher, und von den jungen männlichen Zweigen der Familie, welche in Paris, in London und am deutschen Kaiserhofe ehrenvolle Posten bekleidet hatten, waren nicht wenige Werke nach dem Stammschlosse gesandt, welche die ganze Eleganz und Galanterie der damaligen Zeit athmeten. Diana hatte, seit sie allein war, sehr wohl in den Stunden ihrer Einsamkeit gelernt, wie es in der Welt draußen eigentlich beschaffen sei, und ihre Phantasie hatte sich auf ihren abenteuerlichen Streifzügen nicht selten mit glänzenden, romantischen Plänen beschäftigt. Noch aber war immer ihre Leidenschaft für die Jagd siegreich geblieben, und sie hätte sich um keinen Preis von Boprès fortgewünscht.

Als Genéviève aber an jenem Abende zurückkehrte, war Dianens erster und einziger Gedanke, fort von dem alten Schlosse zu kommen. Aber sie sah ein, daß hierbei, wie sie in ihren Träumen vorausgesetzt hatte, nicht blos ihr Wille hinreichte. Sie konnte ihren Zustand nicht ändern. Sollte sie Boprès verkaufen? Wer denn wollte ihr einen genügenden Preis bieten in einer Zeit, wo nichts seltener als eben Geld war, wo selbst die Soldaten, französische, niederländische und deutsche, sowie sie, vor- oder rückwärts wogend, diese Gegenden passirten, kein Geld besaßen, obgleich sie dasselbe nahmen, wo und wie sie es erlangen konnten? Diana konnte Boprès für einen Spottpreis verschleudern, dann den Preis in irgend einer Stadt verzehren – sehr wahr. Aber dann der rettungslosesten Armuth, die gar keine Wehr mehr gegen das wirkliche Elend besitzt, anheimfallen – eben so wahr. Diana war also, was sie bei dem Gefühle ihres jugendlichen Muthes, bei ihrem unschuldigen Stolze auf sich selbst und ihr ehrwürdiges, edles Geschlecht nie geahnt hatte, die arme Jägerin, die zerlumpte Amazone, wenn auch nicht die Dame von der erbärmlichen Gestalt.

Daß sie wenigstens das Letztere nicht war, ergründete sie vor einem ungeheuer großen, aber vor Alter bereits sehr blind gewordenen Spiegel, dessen ursprüngliche Heimath Paris war. Ihre schlanke, junonisch üppige Gestalt, ihr reiches, dunkelbraunes Haar, die Züge ihres frischen Antlitzes und der glänzende Strahl ihres blauen Auges waren über allen Tadel erhaben. Ihre Haltung war stolz und frei und zeugte von der Federkräftigkeit ihrer ebenmäßigen Glieder, die in frischer Luft gestählt waren. Aber zerlumpt waren die Kleider dieser fürstlichen Gestalt und von Genéviève dabei unterstützt, weinte Diana über die Stellen ihres alten, grauen Tuchkleides, deren verdächtige Beschaffenheit das Abscheulichste, was es in dieser Hinsicht giebt, sauber aufgenähte Flicken nothwendig gemacht hatte. Die Garderoben der Großmutter, der Mutter und der alten Tanten wurden noch an demselben Abende einer strengen Musterung unterworfen,

Empfohlene Zitierweise:
Text von Adolph Görling: Stahlstich-Sammlung der vorzüglichsten Gemälde der Dresdener Gallerie. Verlag der Englischen Kunst-Anstalt von A. H. Payne, Leipzig und Dresden 1848−1851, Seite 490. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Stahlstich-Sammlung_der_vorz%C3%BCglichsten_Gem%C3%A4lde_der_Dresdener_Gallerie.pdf/507&oldid=- (Version vom 1.8.2018)