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können. Metzu folgte der Richtung seines Blickes mit den Augen; er zuckte, traurig werdend, die Achseln und versank in Nachdenken.

Da ließ sich draußen eine frisch klingende Frauenstimme hören. Mieris fuhr auf, griff eiligst nach seinem Hute, nahm seinen Mantel und eilte hinaus auf den halbdunklen Corridor. Die Frau seines Lehrers stand vor ihm.

Erschrocken wollte Brigitta vor dem Jünglinge zurücktreten; er aber ergriff kühn ihre Hand und zog sie an sein Herz. Brigitta, eine schlanke und dennoch üppige Gestalt, schöner noch als ihr Bildniß es hatte ahnen lassen, wehrte ihn zuerst ab, indeß ihre Züge ängstlich wurden; dann aber lächelte sie auf unbeschreiblich reizende, aber traurige Weise.

– Geht, van Mieris; flüsterte sie. Nur heute bleibt mir fern. Ich fühle heute mehr als je, was ich meinem Herrn, dem Meister Gerard, schuldig, und wie sehr ich strafbar bin, daß ich meine Blicke von ihm abwenden und nur eine Minute lang an Euch denken konnte. Heute ist der Jahrestag meiner Vermählung; um diese Stunde begaben wir, der Meister und ich, uns zur Kirche, um uns auf ewig verbinden zu lassen . . . Fort von mir, Mieris! Ich liebe Euch, ich gestehe es frei; aber noch ist meine innige Zuneigung zu meinem Gemahle nicht erloschen; sie ist lebendiger geworden, als je. Von heute an verfolgt mich nicht mehr mit Euren Blicken und meidet mich. Holland hat der Frauen und Mädchen genug, um Euch eine Liebe zu geben, die Ihr von mir nicht zu erwarten habt.

Van Mieris fiel vor der Schönen nieder.

– O, belügt und täuscht Euch doch nicht selbst! flüsterte er höchst aufgeregt. Macht Euch und mich nicht elend. Heute, ja heute oder nie ist der Tag, an welchem sich unser Geschick entscheidet. Heute ist das Band geknüpft, welches Euch von mir trennt, heute auch muß es aufgelöst werden, oder ich werde mir zu Euren Füßen den Tod geben!

– Was wollt Ihr sagen, Franz? fragte Frau Brigitta stammelnd und an allen Gliedern zitternd.

– Ich will sagen, daß Du meine Hand ergreifst und mit mir diesem Hause, dieser Stadt, diesem Lande entfliehst, um unter Italiens lachendem Himmel die Meinige zu werden! erwiderte Mieris, von seiner Verblendung völlig hingerissen. Nach zwei Stunden scheide ich, dann ist Alles zur Flucht bereit; dann werde ich erscheinen, um Dir ewig anzugehören, um Dein Loos, o Geliebte, auf immer an das meinige zu fesseln . . .

Während Frau Brigitta erstarrt kein Wort finden konnte, öffnete sich fern die Thür des Hauses. Brigitta entfloh und Mieris sprang empor.

Gabriel Metzu aber schloß leise die Thür des Ateliers und flüsterte, als er Gerard Dow selbst ins Haus hatte kommen gesehen:

– Armer, sanftmüthiger, liebevoller Meister! Wie kann ich Dein Verderben abwenden? Ich werde Dir entdecken, was man an Dir zu verschulden beabsichtigt . . .

Da trat Dow in das Atelier. Er war ein Fünfziger, mit einem heitern, von kurzem Barte gezierten Künstlergesichte. Nur leicht hatten die Jahre das Braun seiner langen Locken gebleicht. Dow, mit der zwanglosesten, edelsten Haltung von der Welt, war noch immer ein schöner Mann; sein Gesicht namentlich hatte einen unbeschreiblich fesselnden Ausdruck. Dow

Empfohlene Zitierweise:
Text von Adolph Görling: Stahlstich-Sammlung der vorzüglichsten Gemälde der Dresdener Gallerie. Verlag der Englischen Kunst-Anstalt von A. H. Payne, Leipzig und Dresden 1848−1851, Seite 42. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Stahlstich-Sammlung_der_vorz%C3%BCglichsten_Gem%C3%A4lde_der_Dresdener_Gallerie.pdf/59&oldid=- (Version vom 1.8.2018)