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Rembrandt’s Tochter.
Von P. Rembrandt.

Eins der Bilder von Rembrandt’s Tochter gaben wir bereits: es ist dies Rembrandt’s Tochter mit der Nelke, in welchem der Maler eine Grazie entfaltet, die den Beschauer unwiderstehlich hinreißt. In dem ersten Bildniß ist die Dame, welche hier im Federhute erscheint und Rembrandt’s Tochter mit dem Federhute genannt wird, kaum siebzehn Jahre alt, und wir wundern uns nicht, wenn wir lesen, daß das aufblühende Mädchen die ganze junge Männerwelt des Haags bezauberte.

Hier im Hute ist die schöne Blüthe schon überreif, fast verwelkt. Die pikanten Züge der Siebenzehnjährigen erscheinen ausgeprägt, fast markirt und der ganze Kopf ähnelt demjenigen Rembrandt’s in auffallender Weise. Statt der unbewußten Lieblichkeit des jungen Mädchens, statt des offenen anmuthigen Lächelns desselben begegnen wir hier einer gemachten, koketten, fast lüsternen Miene. Hier quillt der Ausdruck nicht mehr aus dem Herzen hervor wie ein klarer, duftiger Strom; das Lächeln liegt blos noch in den Muskeln des Antlitzes und entbehrt alles weiblichen Reizes.

Rembrandt’s Tochter weiß hier ihre – vergangene Schönheit und sucht mit den schönen Resten sich fast gewaltsam zu schmücken . . . das ewige Bestreben alternder Jungfrauen. In dieser Hinsicht ist gegen Rembrandt’s Tochter mit der Nelke, Rembrandt’s Tochter mit dem Hute leer und unangenehm.

Desto mehr hatte Rembrandt Gelegenheit, bei ihren fast männlichen Zügen, bei dem lebhaften Muskelspiel ihres Gesichts die ganze, unbegreifliche Kunst zu entfalten, welcher er im Helldunkel und in der Beleuchtung mächtig war. Und wenn diese Kunst betrachtet wird, die Macht des Pinsels, welche sich kaum irgend auf einem Bilde Rembrandt’s so schlagend zeigt als hier, so muß selbst ein befangenes Auge erkennen, daß Rembrandt’s Tochter im Hute vor demjenigen Bildniß, auf welchem sie die Nelke hält, bedeutend den Vorrang behält. Leider ist dies Bild bedeutend nachgedunkelt. Wir wüßten indeß kaum einen Stich, welcher dies Portrait mit solcher Nachbildung des Rembrandt’schen Clairobscur darstellte, als der unsrige, auf dem die Linienmanier dem Effecte der Malerei sehr nahe kommt.



Empfohlene Zitierweise:
Text von Adolph Görling: Stahlstich-Sammlung der vorzüglichsten Gemälde der Dresdener Gallerie. Verlag der Englischen Kunst-Anstalt von A. H. Payne, Leipzig und Dresden 1848−1851, Seite 603. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Stahlstich-Sammlung_der_vorz%C3%BCglichsten_Gem%C3%A4lde_der_Dresdener_Gallerie.pdf/620&oldid=- (Version vom 1.8.2018)