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Zum großen Lever wurden nicht selten Damen zugelassen, obwohl es Ludwig eigentlich nicht liebte. So war’s auch an dem Morgen, welchen wir im Auge haben. Die Herzogin von Maine, die dem Könige im Grunde seines Herzens beinahe so unangenehm war, als er ihren Gemahl, den Herzog, seinen legitimirten Sohn von der Montespan, liebte, war zum Lever gekommen. Sie war eine Prinzessin von Charolais-Condé, sah sehr gut aus, war klein, aber sehr graziös gewachsen, trug sich dabei phantastisch und glaubte wegen dieser Albernheit das begründete Recht zu haben, Jeden mit ihren geschraubten Reden, die sie ungemein witzig fand, anzufallen und zu langweilen. Auch der König entging ihr selten. Wandte er sich von der eitlen Zwergin mürrisch und schweigend ab, so ward die Herzogin nur noch aufgeräumter, als sie es gewöhnlich war, und hatte wiederum die glänzendste Gelegenheit, ein schon in Bereitschaft gehaltenes boshaftes Bonmot über die Schwachsinnigkeit des Monarchen und den beispiellosen Erfolg seiner Erziehung durch Madame de Maintenon anzubringen. Bat daher die Herzogin um eine Gunst des Königs, so durfte man ungefähr schon überzeugt sein, er werde sie abschlagen oder erklären, sich darüber zu besinnen. In letzterem Falle kam diese Bitte in das mit Crucifixen gezierte Boudoir der Maintenon, und vor dem furchtbaren Richterstuhle, welcher hier die Gestalt eines schwarzbehangenen Fauteuils hatte, ward dann unfehlbar die Schwiegertochter der Montespan abgewiesen.

Außer der Herzogin von Maine war auch die Gräfin de Noailles zum Lever. Ihr Gemahl war der Sohn des berühmten Herzogs von Noailles, ein ziemlich unbedeutender Mensch, welcher sehr der Aussteuer seiner Frau, 150,000 Francs, bedürftig gewesen war. Dies Geld hatte der König der Gräfin geschenkt und zwar auf Vermittelung der Madame de Maintenon, welche, um den Ruf ihrer unerhörten Uneigennützigkeit zu bewahren, sich sehr selten mit solchen Angelegenheiten einließ. Dasmal aber hatte sie ihrer Nichte nicht widerstehen können und das war die Gräfin Noailles, früher Mademoiselle de Vilette genannt.

Die Gräfin Louise de Noailles, zweiundzwanzig Jahre alt, war gewiß damals, das heißt im Jahre 1707, eine der schönsten Damen am Hofe. Sie war schlank und besaß dennoch eine graziöse Fülle der Formen. Ihr reiches Haar trug sie so einfach als möglich à la chinois, indeß die Herzogin von Maine eine wahre thurmhohe Frisur auf dem Kopfe zu balanciren pflegte. Der duftende, wie zarter Reif auf dem Haar der Gräfin zitternde Puder ließ ihre von Natur zarte und blühende Gesichtsfarbe nur noch reizender erscheinen, und überraschend wirkten ihre glänzenden blauen Augen unter den hochgeschwungenen, schwarzen Augenbrauen auf Jeden, der die Gräfin noch nicht oft gesehen hatte.

Louise de Noailles konnte, gleich der Herzogin von Maine, die Maintenon nicht leiden. Sie ergriff jede Gelegenheit, um sich namentlich über den pedantischen Geist der Wittwe des alten „Bajazzo Scarron“ lustig zu machen; ja sie ging sogar so weit, höchst verdächtige Abenteuer zum Besten zu geben, in denen ihre Tante, Madame de „Maintenant“, in Gesellschaft der zwei Jahre vorher gestorbenen französischen Aspasia, der Ninon de l’Enclos, der Madame de Pommereuil und der noch schlimmer berüchtigten Madame de Montchevreuil eine Rolle gespielt haben sollte. Hauptsächlich mochte aber diese Bosheit der Nichte gegen die Unentbehrliche des Königs daher kommen, daß sie prinzipiell so sehr wenig für ihre Verwandten that. Als die Maintenon ihr das königliche Hochzeitsgeschenk vermittelt hatte, ließ der Groll der Gräfin nur

Empfohlene Zitierweise:
Text von Adolph Görling: Stahlstich-Sammlung der vorzüglichsten Gemälde der Dresdener Gallerie. Verlag der Englischen Kunst-Anstalt von A. H. Payne, Leipzig und Dresden 1848−1851, Seite 605. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Stahlstich-Sammlung_der_vorz%C3%BCglichsten_Gem%C3%A4lde_der_Dresdener_Gallerie.pdf/622&oldid=- (Version vom 1.8.2018)