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in so weit nach, daß sie die erstere, mit nicht viel abgestumpfterer Bosheit, meine „neue Tante“ nannte.

Dennoch war Louise der Liebling der Maintenon, vielleicht deshalb, weil sie ganz rücksichtslos die Wahrheit sagte, wodurch sie in den Abendzirkeln des Königs die Gesellschaft schon oft in so große Verlegenheit gesetzt hatte, daß der Monarch auf einen Augenblick seine wundervolle Haltung vergessen, in helles Lachen ausbrechen und den beiden gefährlichen Witzbolden, dem alten Hofmeister des Dauphin, Herrn von Montausier, dem Misanthropen, und dem Herzog St. Simon, dem großartigen Lügenmeister auf Kosten der Thorheiten Anderer, das Signal geben konnte, unbarmherzig über die durch die Offenheit der Dame Compromittirten herzufallen. Ebenfalls liebte die Maintenon den gutmüthigen Gemahl ihrer Nichte herzlich und bekümmerte sich sehr um das Glück dieser Ehe, vermuthlich weil sie dieselbe angestiftet hatte. Das Höchste, was Louise von ihrer Tante für ihre bitteren Aeußerungen – die einer Andern den Besuch von Pignerol oder gar der Bastille zugezogen hätten – zu erdulden brauchte, war, daß Madame Maintenon sie, die Gräfin, eine Zinngießerin schimpfte. Hatte die Gräfin ihre Tante bis zum Aussprechen dieses Wortes gereizt, so blieb die letztere unbestritten Siegerin und Louise fing an zu weinen. Der Vater ihrer Mutter war nämlich ein Kupferschmied oder etwas Aehnliches gewesen. Die Versöhnung der beiden Verwandtinnen pflegte dann dadurch wieder eingeleitet zu werden, daß Louise de Noailles ihre Tante um irgend etwas bat, was diese zu gewähren sich beeilte.

Diese Aussöhnung war nicht vor langer Zeit erfolgt. Die Gräfin stand also mit der Madame de Maintenon, folglich auch mit dem von ihr gänzlich unumschränkt beherrschten Monarchen im ausgezeichnetsten Vernehmen. Die gewöhnliche Bitte um eine Gnade, welche dem heftigen Finale der Differenzen zwischen beiden Damen zu folgen pflegte, war dasmal eine ziemlich ungewöhnliche.

Es war, wie bemerkt, im Jahr 1707, und zwar im Frühling, der diesmal in Frankreich in reizendster Gestalt erschienen war. In Spanien spielten die letzten Acte des dreizehnjährigen spanischen Erbfolgekrieges, in welchem bekanntlich Oesterreich, England und die Niederlande für den Sohn des römischen Kaisers Leopold I., Karl von Oesterreich gegen den von der französischen Macht vertheidigten Enkel Ludwigs XIV., Philipp von Anjou, rastlos kämpften, indeß Spanien sich bald dem einen, bald dem andern Prätendenten zuneigte. Die Sympathien der Spanier jedoch fingen seit längerer Zeit an, sich Philipp von Anjou entschieden zuzuwenden. Vielleicht war sein letztes Misgeschick davon die Ursache. Die alliirten Armeen eroberten fast ganz Spanien, trotz des verzweifelten Widerstandes der Franzosen und namentlich der Castilier, und die englischen Kriegsflotten eroberten alle Hafenstädte Spaniens, die nur irgend Bedeutung hatten, ohne Ausnahme und besetzten einige Hauptpunkte der Inseln im Mittelmeere. Den Anmaßungen der Sieger gegenüber wandten sich die Herzen der Spanier dem unerschrocken sich haltenden Philipp und namentlich der Seele aller seiner Unternehmungen, seiner geistreichen Gemahlin, zu. Der Herzog von Berwick, als französischer Oberbefehlshaber, strengte alle seine Gewandtheit an, um neben seinem ziemlich unbedeutenden Heere von Franzosen die unregelmäßigen spanischen Zuzüge zu organisiren, und er konnte es, nach ungeheurer Mühe, wagen, dem englischen General Lord Ralway und dem erbittert für Karl von Oesterreich fechtenden, die feindlichen spanischen Streitkräfte befehligenden General Las Minas die Schlacht bei Almanza

Empfohlene Zitierweise:
Text von Adolph Görling: Stahlstich-Sammlung der vorzüglichsten Gemälde der Dresdener Gallerie. Verlag der Englischen Kunst-Anstalt von A. H. Payne, Leipzig und Dresden 1848−1851, Seite 610. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Stahlstich-Sammlung_der_vorz%C3%BCglichsten_Gem%C3%A4lde_der_Dresdener_Gallerie.pdf/627&oldid=- (Version vom 1.8.2018)