Seite:Studie über den Reichstitel 34.png

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meinem Interesse angestellten Nachforschungen auf jeden Fall schon ergeben haben, daß der fragliche Ausdruck literarisch im ganzen nur sehr vereinzelt gebraucht wurde. Und wo er gebraucht wird, erscheint er mehr wie eine antiquarische Reminiszenz, eine gelehrte Floskel, denn als ein dem amtlichen Sprachgebrauch der Zeit angehöriger Ausdruck. Insbesondere scheinen ihn auch die gelehrten Staatsrechtslehrer und Publizisten des 18. Jahrhunderts zur Bezeichnung des Reiches vermieden zu haben; vielmehr bedienen sie sich in ihren eigenen Ausführungen wie schon ihre Vorgänger im 17. Jahrhundert mit besonderer Vorliebe der Bezeichnung imperium Romano-Germanicum. Moser scheint ihn absichtlich vermieden zu haben, wohl weil er seine ursprüngliche Bedeutung richtig erkannte; das ergeben seine Worte a. a. O. § 21: „Unter diesem Wort (Heil. Reich Teutscher Nation) wird alles begriffen, was jezo zu Teutschland gehöret, und dieses wird denen Italiänischen Reichslanden entgegengesetzt“. Ebensowenig scheint sich die Formel bei dem letzten großen Erforscher und größten Verehrer des Reichsstaatsrechts, bei Pütter, wie auch bei seinem Nachfolger, Gönner, zu finden.

So ist denn die Formel „heiliges Römisches Reich deutscher Nation“ gegen das Ende des Reiches, dessen wahrer Titel sie nie gewesen war, fast in Vergessenheit geraten. Nur in den Wahlkapitulationen, wo ihre eigentliche Bedeutung noch immer deutlich erkennbar blieb, lebte sie noch fort. Selbst die altehrwürdige Form des Reichstitels: „heiliges Römisches Reich“ kam allmählich außer Gebrauch, wenn sie auch in manchen Verbindungen, wie bei der Bezeichnung der Erzämter, sich dauernd erhielt.

Im amtlichen Zeremoniell hat man auf die Bezeichnung „heiliges Reich“ nach wie vor großen Wert gelegt, wie der bei Moser a. a. O. § 12 berichtete Vorfall beweist. Er erzählt, daß im Jahre 1746 in dem Rückberufungsschreiben des russischen Gesandten Grafen Kayserling bei der Bezeichnung des Reiches das Wort sacrum ausgefallen sei, was zu weiteren Verhandlungen Anlaß gab. Graf Kayserling erklärte die Sache für ein Versehen, und der Reichstag beruhigte sich dabei.

Vielleicht war es gerade das starre Festhalten an dem alten Reichstitel im Zeremoniell und in gewissen althergebrachten Formeln, was die Gegner des Reiches veranlaßte, mit dem

Titel ihren Spott zu treiben. Bekannt sind ja die Anfangsverse

Empfohlene Zitierweise:
Karl Zeumer: Heiliges römisches Reich deutscher Nation. Eine Studie über den Reichstitel. Weimar: Hermann Böhlaus Nachfolger, 1910, Seite 34. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Studie_%C3%BCber_den_Reichstitel_34.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)