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gehabt hatte. Den trieb die Hungersnoth am Ende so weit, daß er sein eigenes Kind schlachtete, Lunge und Leber herausnahm und verspeisete. Aber während er noch an diesem unnatürlichen Essen war, ereilte ihn die Strafe seines Frevels, denn er fiel plötzlich dabei nieder, und starb eines jähligen Todes.

Sammlung zu einer Chronik von Stendal. I. 55.


8. Der Betrug um die Leichengebühren.

Zu Stendal in der Altmark lebte vor vielen Jahren eine adelige Wittwe, die mit ihrer Tochter vom Lande her dahin gezogen war. Diese Tochter war sehr geizig, was ihr aber zuletzt übel bekam. Denn als die Wittwe nach etlichen Jahren zu Tode gekommen war, und ihrer Anordnung gemäß ihre Leiche aus der Stadt geführt und in ihrem Dorfe begraben werden sollte, und nun die Kirchenväter der Domgemeinde, bei welcher die Verstorbene ihre Seelenweide gehabt hatte, den üblichen Abtrag für das Abführen der Leiche forderten, da führte die Tochter sie mit einer frechen Lüge zurück, und ließ die Leiche heimlich zur Stadt hinausführen. Dafür traf sie aber ein harter Fluch, denn von Stund’ an gingen ihre Sachen zurück, und in wenigen Jahren war sie um alle ihre Erbschaft so gar herum, daß sie weder zu essen noch sich zu bekleiden mehr hatte, und ihr Mann in den Krieg ziehen, ihre Kinder aber zu gutthätigen Leuten ausgethan werden mußten. In solcher Armuth starb sie elend dahin.

Sammlung zu einer Chronik von Stendal. II. 66.


9. Die betenden Straßenräuber.

Vor vielen Jahren lebte in einem Dorfe unweit Stendal ein Prediger, der sehr geizig war. Der war eines Tages in Stendal gewesen, und hatte dort viel Geld eingenommen,

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Jodocus Donatus Hubertus Temme: Die Volkssagen der Altmark. Nicolai, Berlin 1839, Seite 11. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Temme_Die_Volkssagen_der_Altmark_011.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)