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Besondere Gebräuche bei Entbindungen und Kindtaufen in der Gegend von Lagendorf (einem Theile des Hans Jochen-Winkels.)

Sobald das Kind dem Mutterschooße entwachsen ist, wird es von der Hebamme in ein Laken gewickelt. In eine Schürze oder in ein Tuch darf man es nicht legen, weil es sonst, wenn es ein Knabe ist, in späteren Jahren zuviel hinter den Frauensleuten herlaufen, wenn es aber ein Mädchen ist, sich ebenfalls zuviel mit den Mannspersonen abgeben würde.

Wenn das Kind nun so gewickelt ist, so wird es von der Hebamme stillschweigends unter den Tisch auf die bloße Erde gelegt, wo es so lange liegen bleibt, bis die Wöchnerin zu Bette gebracht ist; dadurch wird es ruhiger und frommer, und es wird nicht soviel schreien.

Ist die Mutter ins Bett gebracht, so wird das neugeborne Kind gebadet und dann ordentlich gewickelt. Bei diesem ersten Wickeln und Anziehen darf aber keine neue Mütze und kein neues Hemdchen gebraucht werden, weil sonst das Kind später zuviel Zeug zerreißen würde. Zum zweiten Anziehen kann man ohne Schaden neues Zeug gebrauchen.

In der ganzen Zeit bis zur Taufe muß das Kind sorgfältig vor Verwechselung durch die Unterirdischen gehütet werden; deshalb wird das sogenannte „Wort Gottes“, d. i. ein Blatt aus der Bibel oder aus dem Gesangbuche, entweder mit in die Windeln gewickelt, oder in die Wiege gelegt.

Damit nun aber auch dann, wenn die Mutter das Kind zu sich ins Bette nimmt, die Unterirdischen nicht Gewalt über dasselbe bekommen, muß in der ganzen Zeit bis

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Jodocus Donatus Hubertus Temme: Die Volkssagen der Altmark. Nicolai, Berlin 1839, Seite 86. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Temme_Die_Volkssagen_der_Altmark_086.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)