Meine liebe Schwester, wir durften gestern einen wunderschönen Tag erleben, das fünfzigjährige Jubiläum unserer Arbeit hier. Es ist die Geschichte Polsingens mit viel Leid und Weh gemischt, aber stärker als Wehmut und Leid über hinterlegten Schmerz muß doch der Dank sein. Ach, was hat Gott für Wunder auch an diesem Ort getan! Es ist über dieses Polsingen eine solche Lieblichkeit ausgegossen, und man muß so erkennen, wie viele treue Menschen ihr Bestes hier eingesenkt haben, so daß allmählich diese jetzige Ausgestaltung zustande kommen konnte.
Eine besondere Freude war es uns gestern, daß uns die Gemeinde einen so lieblichen Morgengruß brachte. Pfarrer und Lehrer kamen mit den Schulkindern, die sich mit Blumen geschmückt hatten. Sie sangen, und die weißgekleidete Tochter des Lehrers deklamierte und überreichte einen Strauß mit einer Gabe für das zu errichtende Kruzifix auf dem neu angelegten Gottesacker. Die Schwestern empfingen das hl. Abendmahl. Nachmittags zwei Uhr war Festgottesdienst, den Herr Rektor hielt: Ps. 103, Lied Nr. 2 wurde gesungen, drei Lektionen gelesen und eine Ansprache gehalten über Worte aus dem 77. Psalm: „Ich gedenke der alten Zeit, der vorigen Jahre.“ Dann war im Eßsaal ein Kaffee gerichtet, dabei las Herr Rektor einen Auszug aus der Chronik vor. Herr Pfarrer Ries erzählte aus der alten Polsinger Geschichte...
Meine liebe Schwester Babette, ich schicke Dir 999 Grüße zu Deinem Geburtstag (1000 sind mir zu viel). Gott schenke Dir eine rechte Gebetskraft und eine große Liebeskraft und eine große Glaubenskraft. Mit diesen drei Kräften könntest Du ein gutes Jahr für Dich und andere haben...
Therese Stählin: Auf daß sie alle eins seien. Verlag der Diakonissenanstalt, Neuendettelsau 1958, Seite 218. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Therese_St%C3%A4hlin_-_Auf_da%C3%9F_sie_alle_eins_seien.pdf/220&oldid=- (Version vom 24.10.2016)