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Und zwängten ein die Brust, und stachen mich,

Als läge auf mir das Gebirge Kaff,
Und Simurghs Schnabel picke mir in’s Herz.
Und in dem Hause scholl, wie’n Todtenlied,
Das heisre Singen wunderlicher Männer,

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Mit strengen Mienen und mit kahlen Häuptern,

Umwallt von blum’gen Kleidern, und der feine
Gesang der weiß- und rothgeröckten Knaben,
Die oft dazwischen klingelten mit Schellen,
Und blanke Weihrauchfässer dampfend schwangen.

1000
Und tausend Lichter gossen ihren Schimmer

Auf all das Goldgefunkel und Geglitzer,
Und überall, wohin mein Auge sah,
Aus jeder Nische nickte mir entgegen
Dasselbe Bild, das ich hier wiedersehe.

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Doch überall sah, schmerzenbleich und traurig,

Des Mannes Antlitz, den dies Bildniß darstellt.
Hier schlug man ihn mit harten Geißelhieben,
Dort sank er nieder unter Kreuzeslast,
Hier spie man ihm verachtungsvoll in’s Antlitz,

1010
Dort krönte man mit Dornen seine Schläfe,
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Heinrich Heine: Tragödien nebst einem lyrischen Intermezzo. Dümmler, Berlin 1823, Seite 196. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Tragoedien_nebst_einem_lyrischen_Intermezzo_196.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)