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1175
Zerrissen ward der Faden, der von Spanien,

Weit über’s Meer, bis nach Damaskus reichte,
Und dort geknüpft war am Kaliphenthron’;
Und in den Prachtgebäuden Cordovas
Da wehte jetzt ein rein’rer Lebensgeist,

1180
Als in des Orients dumpfigen Haremen.

Wo sonst nur grobe Schrift die Wand bedeckte,
Erhub sich jetzt, in freundlicher Verschlingung,
Der Thier- und Blumenbilder bunte Fülle;
Wo sonst nur lärmte Tamburin und Zimbel,

1185
Erhob sich jetzt, beim Klingen der Chitarre,

Der Wehmuthsang, die schmelzende Romanze;
Wo sonst der finstre Herr, mit strengem Blick,
Die bange Sklavinn trieb zum Liebesfrohn,
Erhub das Weib jetzund sein Haupt als Herrinn,

1190
Und milderte, mit zarter Hand, die Rohheit

Der alten Maurensitten und Gebräuche,
Und Schönes blühte, wo die Schönheit herrschte.
Kunst, Wissenschaft, Ruhmsucht und Frauendienst,
Das waren jene Blumen, die da pflegten

1195
Der Abderamen königliche Hand.
Empfohlene Zitierweise:
Heinrich Heine: Tragödien nebst einem lyrischen Intermezzo. Dümmler, Berlin 1823, Seite 207. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Tragoedien_nebst_einem_lyrischen_Intermezzo_207.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)