Seite:Ueber Mainz (1792).pdf/95

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schmeicheln, wenn ein galantes Herrchen bei jedem Namens- oder Geburts-Tage ihr seine Geistesprodukte überreicht, und dabei so begeistert thut, als habe Apoll und die heiligen Neun Musen ihm durch ein unterirrdisches Orakel die Alexandrinen eingehaucht. Daß bei solchen Umständen diese jungen Zöglinge von zarter Kindheit an verdorben werden, ist eine ganz natürliche Folge. Der H. Hofmeister weiß ihnen nichts andres vorzuplaudern, als Romanzen und Idillen, an klassische Arbeiten wird gar nicht gedacht. Römische oder griechische Schriftsteller findet man sehr selten in den Händen der adlichen Jugend, ja sie wird nicht einmal mit der Litteratur ihres Vaterlandes bekannt gemacht. Alles ist nach französischer Art eingerichtet. Die meisten verstehen nicht einmal ihre Muttersprache; ein ärmliches französisches Wortgepräng ist Alles, womit sie sich unterhalten. Ich habe mich öfters nicht wenig geärgert, wenn ich bei Gelegenheit eines Kinder-Balles bei Hofe denen den meisten Beifall zunicken sah, die am meisten französisch sprachen. – Doch alle diese Todsünden wären noch zu verzeihen, hätte man zugleich mit den französischen Ungereimtheiten auch die

Empfohlene Zitierweise:
Anonym (= J. N. Becker): Ueber Mainz. In Briefen an Freund R.. , Auf einer Rheininsel [= Frankfurt/Main] 1792, Seite 95. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ueber_Mainz_(1792).pdf/95&oldid=- (Version vom 22.11.2023)