Seite:Ueber die Liebe 024.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.


Hut, und das Mädchen beobachtet seine Ungeschicklichkeit beim Reiten. Seufzend gesteht es sich ein, daß es die dargebrachte Neigung nicht zu erwidern vermag.

Jemand macht einer sehr achtbaren Dame der Gesellschaft den Hof. Da erfährt sie, daß ihr Verehrer ein lächerliches körperliches Mißgeschick gehabt habe. Er wird ihr nun unerträglich, obgleich sie niemals die Absicht gehabt hatte, ihm je anzugehören, und obgleich sein verborgenes Gebrechen seinem Geiste und seiner Liebenswürdigkeit keinen Abbruch tut. Die Kristallbildung ist einfach unmöglich geworden.

Wenn ein Mensch imstande sein soll, das geliebte Wesen in Wonne zu vergöttern, gleichgiltig, ob er es im Ardennerwalde oder auf irgend einem Balle gefunden hat, so muß es ihm zunächst als vollkommen erscheinen, wenn auch nicht in allen erdenklichen Beziehungen, so doch in den sichtbaren. In jeder Hinsicht vollkommen erscheint uns das, was wir lieben, erst nach einigen Tagen der Kristallbildung. Das ist sehr einfach. Es genügt dann die bloße Vorstellung der Vollkommenheit, um sie dem geliebten Wesen wirklich anzusehen.

Wir sehen, wie weit die Schönheit zur Entstehung der Liebe nötig ist. Die Häßlichkeit darf nicht gerade zum Hindernis werden. Der Liebende kommt bald so weit, seine Geliebte, so wie sie ist, schön zu finden, ohne noch an den Begriff der idealen Schönheit zu denken.

Die von wahrer Schönheit verklärten Züge verheißen ihm bei der Betrachtung, wenn ich mich so ausdrücken darf, ein Maß des Glückes, das ich als

Empfohlene Zitierweise:
Stendhal übersetzt von Arthur Schurig: Über die Liebe (De l’Amour). Leipzig 1903, Seite 24. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ueber_die_Liebe_024.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)