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3. im Hofleben das Bestreben, den Frauen zu gefallen. Meistens liegt eine Mischung aus allen dreien vor. Das Glück, das dem Reichtum zugeschrieben wird, verbindet sich mit der Verfeinerung des Genusses, der eine Folge der Eleganz ist, und alles zusammen fordert die Liebe heraus. Auf die eine oder andere Weise wird die Phantasie durch das Neue angelockt. So findet man Gefallen an einem häßlichen Menschen und mit der Zeit wird die Häßlichkeit zur Schönheit.[1]

Eine Tänzerin in Wien, Madame Vigano, die damals sehr in Mode war, kam im Jahre 1788 in andere Umstände – und alsbald trugen die Damen kleine Bäuche à la Vigano.

Im Kreisläufe der Anschauungen ist nichts häßlicher, als eine überlebte Mode. Der schlechte Geschmack verwechselt die Mode, die immer das Neue liebt, mit dem ewig Schönen. Ein nach der Mode erbautes Haus ist in zehn Jahren altmodisch, aber in zweihundert Jahren, wenn jene Mode ganz vergessen ist, wirkt es gar nicht so häßlich. Liebende sind große Narren, wenn sie sich hübsch ankleiden. Beim Anblick des Geliebten haben Frauen mehr zu tun, als auf seine Kleidung zu achten. Man sieht den Geliebten, aber man mustert ihn nicht, sagt Rousseau. Wer es doch tut, liebt nicht aus Leidenschaft, sondern aus Galanterie. Ja, die strahlende Schönheit der Geliebten mißfällt uns fast; man sieht nur Schönheit, wo man die Zärtlichkeit und Sehnsucht erblicken möchte. Das Sichputzen hat für die Liebe nur Wirkung bei jungen Mädchen, die im Elternhause ängstlich gehütet werden und oft nur mit den Augen lieben können. –


  1. [346] Memoiren von Grammont.
Empfohlene Zitierweise:
Stendhal übersetzt von Arthur Schurig: Über die Liebe (De l’Amour). Leipzig 1903, Seite 40. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ueber_die_Liebe_040.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)