Seite:Ueber die Liebe 112.jpg

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Ich weiß nicht, welchen Eindruck die Eifersucht eines Mannes auf das Herz der geliebten Frau macht. Die Eifersucht eines gleichgiltigen Verliebten erregt sicherlich viel Abscheu, der sich bis zum Haß steigern kann, wenn der Gegenstand der Eifersucht liebenswerter als der Eifersüchtige ist. Denn, wie Frau von Coulanges sagt, man mag nur die Eifersucht des Mannes, auf den man selbst eifersüchtig sein könnte. Wenn man den Eifersüchtigen liebt, er aber kein Recht hat, es zu sein, so kann die Eifersucht jenen weiblichen Stolz verletzen, der so schwer zu behandeln und zu verstehen ist. Die Eifersucht kann stolzen Frauen gefallen, weil sie eine neue Art ist, dem Manne ihre Macht zu zeigen.

Die Eifersucht kann gefallen, weil sie eine neue Möglichkeit ist, die Liebe zu beweisen. Überzarte Frauen freilich werden durch die Eifersucht in ihrem Schamgefühl verletzt.

Die Eifersucht kann gefallen als Beweis des Mutes des Liebenden. Ferrum est quod amant. Nur muß man auseinander halten, daß der „Mut“ geliebt wird, nicht die „Tapferkeit“ eines Turenne. Denn diese ist sehr gut im Verein mit einem kalten Herzen denkbar.

Es ist ein Gesetz der Kristallbildung, daß eine Frau dem betrogenen Manne das Geschehnis niemals eingestehen darf, wenn sie nicht alle Macht über ihn verlieren will.

So stark ist die Freude an dem idealen Bilde, daß wir uns von einem geliebten Wesen gemacht haben, daß man vor dem verhängnisvollen Eingeständnis lieber (wie André Chénier sagt)

„… Anstatt des Todes Selbstbetrug erwählt.
Der uns am Leben und im Leid erhält.“


Empfohlene Zitierweise:
Stendhal übersetzt von Arthur Schurig: Über die Liebe (De l’Amour). Leipzig 1903, Seite 112. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ueber_die_Liebe_112.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)